Sündiges Geheimnis: Roman (German Edition)
geöffnet wurde, duckten sich die Leute.
Hier wurde alles rechtzeitig gesäubert. Wer in dieser Gegend wohnte, besaß genug Geld, für alles und jedes Bedienstete zu haben. Alles musste perfekt sein, ohne dass man einen Gedanken daran verschwendete.
Aber niemand schien die wunderbaren Farben in den Blumenkästen vor den Fenstern zu bemerken, den Efeu, halb versteckt in Mauer- und Holzspalten. Die sorgsam polierten Messingschilder neben den Eingängen, die glänzenden Türklopfer, die Pflanzen in kostbaren Töpfen. So viele schöne Dinge, deren Pflege viel Zeit und Geld erforderte. Hier schien das selbstverständlich zu sein.
Stundenlang hätte sie dastehen und die Ranken betrachten können, die von Gärtnerhand kunstvoll um die Geländer der Eingangstreppen gewunden worden waren. Wie Finger, die sich einladend dem Besucher entgegenstreckten, dachte Miranda. Seufzend folgte sie der Zufahrt zum Kutschenhaus hinter dem Gebäude. Dort irgendwo musste sich der Lieferanteneingang befinden.
Von seltsamen Gefühlen erfasst, drückte Miranda das Päckchen an ihre Brust. Im hellen Tageslicht fand sie die Fantasien der vergangenen Nacht lächerlich. Sie würde die Bücher einfach abgeben und verschwinden. Schließlich hatte sie oft genug solche Pakete zu eleganten Londoner Adressen gebracht und sich nicht viel dabei gedacht.
Sie liebte es, in Mayfair herumzulaufen, die Häuser und Plätze zu bewundern, und dennoch hinderte eine gewisse Verlegenheit sie, hier länger zu verweilen. Manchmal glaubte sie, die Leute würden mit Fingern auf sie zeigen und tuscheln. Wie albern. Personen von Stand nahmen Angehörige niedrigerer Gesellschaftsklassen gar nicht wahr, weil sie sie für dienstbare Geister hielten. Oder für Ganoven, doch in dem Fall riefen sie gleich nach der Wache.
Ständig wies Mr. Pitts sie auf die Dummheit der Mächtigen in der Aristokratie und im Parlament hin, auf ihre beklagenswerten Fehler. Sie selbst glaubte allerdings nicht, dass sie sich aus Dummheit falsch verhielten, sondern weil sie einfach nicht verstanden, dass andere Menschen anders dachten und andere Entscheidungen trafen.
Unter ihren derben Schuhen knirschte der weiß glänzende, geharkte Kies. Zwei Lakaien in tadellos gebügelten, schimmernden schwarz-silbernen Livreen kamen ihr entgegen, nickten ihr höflich zu, und sie erwiderte den Gruß.
Ein Viscount. Lord Downing. Nun, das spielte keine Rolle. Sie bog um die Ecke des Gebäudes und erreichte die Rückfront. Hastig trat sie beiseite, als zwei Frauen die Küchentreppe herabkamen und einen gigantischen Topf voller Spülwasser schleppten.
Als die jüngere Magd strauchelte, hielt Miranda sie fest. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Oh, das haben Sie schon getan, Miss. Fast wäre ich gestürzt.«
»Pass doch auf«, mahnte die ältere Frau. »Wenn du den Topf fallen lässt, zieht die Köchin dir die Ohren lang.«
»Dann muss ich mich ja erst recht bei meiner Retterin bedanken.«
»Gern geschehen«, sagte Miranda. »Würden Sie mir bitte zeigen, wo ich etwas abliefern kann?«
Das Mädchen wies mit dem Kinn zur Küchentür. »Sicher nimmt Mrs. Humphries es entgegen. Oder jemand ruft einen der Diener.«
»Danke.« Miranda nickte den Mägden zu, die mit ihrer Last weiterzogen.
»Jedenfalls benimmt sich Seine Lordschaft immer merkwürdiger. Gestern stand er schon bei Tagesanbruch auf und dann …« Der restliche Satz wurde vom Plätschern des ausgeschütteten Spülwassers übertönt.
Am liebsten hätte Miranda die beiden noch länger belauscht, die jetzt die Pumpe betätigten und den Topf mit frischem Wasser füllten. Doch es würde zu seltsam aussehen, wenn sie ohne ersichtlichen Grund einfach hier stehen blieb.
Durch die offene Tür betrat sie eine große Küche, in der reges Leben und Treiben herrschte. Dienstboten rannten umher, wichen einander mit erhobenen Armen aus, rührten in Pfannen, schwenkten Utensilien, schrien sich Anweisungen und Antworten zu. Fasziniert beobachtete Miranda das Chaos. Ein paar Leute stießen gelegentlich zusammen, aber zumeist wirkte das Durcheinander wie ein geschickt choreografierter Tanz – vielleicht weil sie alle schon sehr lange gemeinsam arbeiteten und aufeinander eingespielt waren.
Aus den Herden stieg glühende Hitze auf und erfüllte flimmernd die Luft. Miranda spürte Schweißperlen ihren Nacken herunterrinnen und verfluchte ihren Entschluss, das Haar offen zu tragen, statt es wie üblich praktischerweise hochzustecken. Bald würden die Strähnen an ihrem
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