Sueß, naiv und intrigant
Mädchengespräch eben, bei dem allen männlichen Wesen auf diesem Erdball eigentlich die Ohren hätten klingen müssen. Callie hatte den Spruch losgelassen: Ist ja noch nicht so lange her, da haben sie sich noch von Ast zu Ast geschwungen und Bananen gepflückt , und ab da hatten sie es sich den ganzen Abend über nicht verkneifen können, Affenlaute von sich zu geben. Jetzt, wie sie Easy da so unter den Birkenästen kauern sah, musste Jenny an sich halten, nicht in lautes Iiieeek-iiieeek-iiieeek auszubrechen.
»Hey«, sagte sie stattdessen.
Easy machte ein enttäuschtes Gesicht, als habe er eine freundlichere Begrüßung erwartet, und Jenny merkte, wie sie dahinzuschmelzen begann. »Warum versteckst du dich unter den Bäumen?« Fragend zog sie eine Augenbraue hoch.
Easy kam unter dem Blätterdach hervor und sah sich um. Er trug ein Waverly-Rugby-Sweatshirt voller Grasflecken, und seine normalerweise klaren Augen waren ein bisschen gerötet, als hätte er nicht gut geschlafen. Hm, es war nur gerecht, wenn er Schlafstörungen hatte – sie hatte sich die letzten drei Nächte, von Visionen geplagt, hin und her geworfen und ständig den langen, umwerfenden Easy und die hochgewachsene, hinreißende Callie vor Augen gehabt.
»Wollte nicht, dass die Silver mich sieht.« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Hab behauptet, dass es mir nicht gut geht.«
»Und warum bist du dann hier?«, entfuhr es Jenny.
Easys Blick umwölkte sich. »Ich... weiß nicht. Hab einfach mit dir reden wollen.«
»Oh.« Jenny kramte in ihrer Tasche nach ihrer weißen No-Name-Fliegerbrille, die sie vor Schuljahrbeginn an einem Stand in SoHo gekauft hatte. Es war zwar tatsächlich sonnig, aber vor allem wollte sie nicht, dass ihr Easy genau ansah, was ihr durch den Kopf ging. Und das war wohl weiter kein Kunststück, jedenfalls wenn man Jennys Bruder Dan glauben durfte. Der behauptete nämlich, dass ihre Gedanken in etwa so schwer zu lesen seien wie das Stopp auf einem Stopp-Schild. Nachdem Jenny ihre unaufgeräumte Tasche einmal ohne Ergebnis durchwühlt hatte, hörte sie mit der Suche auf. Es sollte ihr nicht passieren, dass sie per Zufall ein Tampon herausfischte oder etwas ähnlich Peinliches. Schützend hielt sie die Hand über die Augen, als sie zu Easy aufblickte. »Magst du mich zum Wohnhaus begleiten? Ich muss mich fürs Training fertig machen.« Er nickte langsam.
Seite an Seite gingen sie den gepflasterten Weg entlang. Das Geschrei von Schülern, die am Rand des Campus Sporttraining hatten, hallte durch die klare Herbstluft. Sie schwiegen einige Minuten, und Jenny wurde schmerzlich bewusst, welch große Lücke zwischen ihnen klaffte. Easy hielt so viel Abstand zu ihr, dass sie sich nicht berührten, und sie hatte keine Ahnung, was er dachte. Sie wollte sich ihm zuwenden, ihn in einen Haufen Laub werfen und ihn abküssen, aber … sie konnte es einfach nicht. Sie fing wieder an, in ihrer Tasche zu kramen. Schließlich fand sie die Sonnenbrille. Sie hatte sich in der Kette ihres Schlüsselanhängers verheddert, einer Eule, die sie in dem kleinen Laden in Rhinecliff erstanden hatte, der lauter Waverly-Souvenirs verkaufte. Sie löste die Brille von der Kette und setzte sie sich auf die Nase.
Eine Gruppe Mädchen in karierten Miniröcken und Kniestrümpfen, die auf den Stufen zur Bibliothek hockten, starrte ihnen nach, als sie vorübergingen. Was am Samstagabend bei Ich gestehe Pikantes herausgekommen war, hatte sich in Windeseile in ganz Waverly verbreitet. Alle zerrissen sich das Maul über Tinsley Carmichaels und Brett Messerschmidts Geständnis, noch Jungfrauen zu sein, und selbstverständlich über die Eröffnung von Bretts Langzeitfreund Jeremiah Mortimer, auf einmal keine Jungfrau mehr zu sein, genauso wenig wie das hübsche St.-Lucius-Mädchen, das ihm verdächtigerweise auf die Party gefolgt war. Und natürlich galt es auch, Easys Verabredung mit Callie Vernon hinter Jennys Rücken in allen Details zu bekakeln. Die Neuigkeit, dass sich Alison Quentin und Alan St. Girard auf der Party zusammengetan hatten, erschien da vergleichsweise belanglos und nahm auf der Klatschskala von Waverly einen untergeordneten Rang ein, wo doch neue Pärchen normalerweise ganz obenan rangierten.
Easy schlurfte verlegen mit den Füßen. »Ich wollte mich nur … entschuldigen. Noch mal.«
Jenny seufzte. Sie wusste ja, dass es ihm leidtat. Nur, was genau tat ihm leid? Dass er mit Callie statt mit ihr zu dem Essen gegangen war? Dass er sie
Weitere Kostenlose Bücher