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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schreiber
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sie etwas angestellt. Einige Leute blieben stehen und schauten neugierig, was dieser Mann von dem Mädchen wollte.
    Paula bat um Verständnis: »Ich war einfach nur auf einem Markt mit normalen Leuten.«
    »Hast du das Gesindel bemerkt, das hier herumläuft? Du bist einfach noch zu naiv, unsere Sorge zu verstehen!« Er hielt ihr die Beifahrertür auf, bat sie einzusteigen und
nahm auf dem Fahrersitz Platz.
    »Papa«, ihre Stimme klang flehend. »Was hast du denn früher gemacht? Als du ein Junge warst.«
    »Ich? Meine Eltern haben gearbeitet von morgens bis abends, ich war auf mich gestellt.«
    »Siehst du, ich will genau das auch!«
    Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss, startete aber nicht, sondern wandte sich zu ihr: »Ich musste mir alles hart erarbeiten, wir hatten ja nichts.«
    »Papa, und ich will nichts …«
    »Du hast keine Ahnung, Paula. Es gibt zwei Welten, lass dir das erklären. Die einen haben viel, die anderen nichts. Du wirst es uns noch danken, glaub mir. Ich halte dich für
undankbar.«
    Paula murmelte ernüchtert: »Irgendwann bin ich weg.«
    Er wäre gewarnt gewesen, aber er begriff nicht, was sie meinte: »Das dauert Gott sei Dank noch lange, erst das Abi, dann kommt Berkeley, da warten sie schon auf dich.«
    »Droht auf Eliteunis keine Gefahr?«, fragte sie spöttisch.
    »Du kannst von Glück sagen, dass ich solche Kontakte habe.«
    Paula schaute ihn so freundlich an, wie es in diesem Moment eben ging: »Papa, ich bin kein Kind mehr.«
    »Ich weiß, schnall dich an!«
    Er startete den Wagen und fuhr los.
    Im Fernsehen guckte Paula am liebsten diese sentimentalen Reportagen oder Talkshows mit verzweifelten Vätern oder Müttern, die ihr zur Adoption freigegebenes Baby
inzwischen vermissten. Diese Eltern saßen in Schaukelstühlen vor der Kamera, eine Wolldecke über den Knien, auf Veranden schäbiger Holzhäuser im Mittleren Westen der
Vereinigten Staaten, manche waren im fernen Sibirien zu Geld gekommen und gern bereit, im Falle eines Wiedersehens das in Zeiten der Armut weggegebene Kind nun mit Goldkettchen und PlayStations zu
überschütten. Oder sie wohnten neben stillgelegten saarländischen Kohlegruben oder in Dortmunder Mehrfamilienhäusern, litten eigentlich kaum an ihrer Verwahrlosung, ersehnten
jedoch etwas Neues, weshalb also nicht mal ein Kind, und Kindergeld dazu.
    Paula war zweifelsfrei das leibliche Kind ihrer Eltern, das war verbrieft, versiegelt, und sie wollte nichts mehr davon wissen, hatte andere Eltern gesucht, sich weit weg fantasiert, Muttermale
und Ohrläppchen verglichen, Handlinien nachgezeichnet und analysiert. Natürlich hatte sie sich an den Eltern vorbei Zugang zum Internet verschafft, verbrachte viel Zeit in der
Schulbibliothek, wo Rechner bereitstanden. Das war ihr Ort der Ruhe.
    Auf verschiedenen Plattformen hatte sie Suchanzeigen hinterlassen, ihr Postfach war voller Hinweise auf Kontakte zu verdächtigen Personen, die die Polizei hätte nutzen können, nur
wusste niemand davon. Paula fehlte eine beste Freundin und Vertraute, und ihre virtuellen Kontakte kannten keine Paula aus Dresden. Sie hatte nicht mal ein eigenes Foto eingefügt, im Netz sah
man in ihrem Profil das Gesicht einer Fremden aus einer Margarinewerbung, von sonst wo reinkopiert.
    In der besagten Nacht hatte Paula kaum Hemmungen, sich ins eigene Fleisch zu schneiden, den Schmerz spürte sie kaum. Sie hatte zwar noch Angst vor dem, was kommen würde, war aber den
Kontrollwahn ihrer Eltern gründlich satt. Was für ein geradezu rotziges Gefühl hatte sie gequält, wenn ihr Vater morgens am Frühstückstisch bei jedem Löffel
Müsli, den sie sich in den Mund schieben musste, mitzählte, mitkaute und mitschluckte. Ihre Mutter schlief gern lange aus, Paula dagegen hätte gern auch auf ihren Vater am Tisch
verzichtet.
    »Du isst ja nichts!«
    »Bin zum Lunch verabredet.«
    »Ich bin jetzt satt.«
    »Müsli tut dir gut, denk an deinen Darm.«
    »Tut nicht mehr weh.«
    »Vorbeugen, Liebes. Noch zwei Löffel, komm!«
    Nachmittags saß die Mutter während der Hausaufgaben bei ihr, mit dem Finger den Zeilen in den Schulbüchern folgend, von der ersten Lesefibel bis zu den mathematischen
Ableitungen.
    Ihr Handy war auf Vibration gestellt. Fünfmal brummte es innerhalb von wenigen Minuten leise den Empfang von Kurznachrichten.
    »Bist du verliebt?«, fragte Paula sie.
    Sie wurde fahrig: »In deinen Vater, ja.«
    »Aber er schickt dir keine SMS .«
    »Manchmal schon.«
    Sie drängte Paula,

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