Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
hierbei um ein
italienisches Restaurant. Paula musste beinahe grinsen, einen solchen Schuppen hätten ihre Eltern niemals betreten.
Der Tisch klebte, die Plastikblumen waren verstaubt und die Wand zur Hauptstraße schimmelte in den Ecken. Paula schaute auf die Teller der Gäste, die Nudeln pappten verkocht
aneinander, auf einer Pizza lag sehniger Kochschinken mit Zwiebelringen obendrauf.
»Kann ich etwas anderes haben?«, fragte Paula den Kellner, der beim Servieren der Speisen am Nachbartisch seinen Daumen ins Essen hielt.
»Beispiel?«, fragte er mit missvergnügtem Blick.
»Eine Banane, noch in der Schale?«
»Hammer nich.«
Sie bestellte Cola und bekam eine braune Flüssigkeit, die keine Kohlensäure mehr hatte.
»Du warst so ein schönes Kind!«, schwärmte der Mann. »Bist gleich nach der Geburt weggekommen, der Osten hat ja alles von uns gekriegt, sogar die Kinder.«
Er stank aus dem Mund, und seine Schneidezähne waren offensichtlich falsch, viel heller als der gelbe Rest. Und obwohl Paula genau wusste, dass er nicht ihr Vater war, blieb sie bei dieser
hanebüchenen Geschichte, einfach weil es ein herrlicher Unsinn war, den man im Internet gut treiben konnte. Er dachte sicher ähnlich. Sein Leben langweilte ihn, seine alte Mutter war
gestorben, und er konnte die Waschmaschine nicht bedienen. Über all das hatten sie bereits online gechattet.
»Und deine Adoptiveltern, wie sind die?«
»Reich.«
»Aha, so so, hm hm.«
Sein Haus war nur wenige Autominuten durch Felder hindurch vom Lokal entfernt. Das Grundstück war vollgestellt mit alten Geräten, dazwischen standen verschmierte Farbeimer, Holzscheite
überdeckt mit Dachpappe, Paletten, ein morscher Einkaufswagen vom Supermarkt und aufgeplatzte blaue Müllsäcke.
»Ich hab früher Landmaschinen vertreten und sammle schon immer alte Eggen und Pflüge. Schön, ne?«
Paula nickte lächelnd: »Woher weißt du denn, dass ausgerechnet ich deine Tochter bin?«
»Hab Papiere, steht dein und mein Name drauf, wirst sehen, komm mit rein.«
Das kleine Häuschen hatte drei Zimmer und einen Garten, wo Rosenkohl zwischen rostendem Eisen aus dem Boden guckte. Ihr Gastgeber drückte gegen den Türgriff der massiven
Holztür – sie schien verzogen zu sein, klemmte offenbar. Er trat kräftig dagegen, sie öffnete sich, er ging voraus – Paula folgte ihm.
NETTE
I m Jahr zuvor war die Kirschernte miserabel ausgefallen, dafür hingen im Herbst Unmengen Zwetschgen an den Bäumen der anderen. Die
Preise auf den Märkten im ganzen Landkreis waren im Keller und die Bauern drauf und dran, die überzähligen Früchte wieder einmal hängen zu lassen. Nur ein
Großbäcker sagte, er könne sie für seine Kuchen gut gebrauchen. Er versprach Nette in die Hand, ihr alles abzunehmen, was sie an Zwetschgen in großen Dosen abfüllte
und einkochte, ohne Zucker, nur mit frischem Wasser. Er selbst werde großzügig in Vorleistung gehen, versicherte er, die Früchte aufkaufen, ihr sogar leere Dosen und Deckel liefern,
eine Verschließmaschine leihen, sie brauche nur zu produzieren, Kosten fielen für sie nicht an, dafür aber großartiger Profit. Annie fürchtete, dass es schieflaufen
werde, weil immer alles schiefgelaufen war. Und ihre Mutter hatte so etwas schließlich nie zuvor gemacht.
Dennoch raffte sich Nette unverdrossen auf, besorgte Genehmigungen, lieh sich große Kessel, in denen man solche Fünfliterdosen einkochen konnte, und trommelte schließlich zehn
Hausfrauen des Ortes zusammen, die sich Gummischürzen umbanden und um einen Blechtisch mit Abfluss in der Mitte stellten.
»Hast du den aus dem Krankenhaus?«, fragte Opa bei dessen Anblick.
Nette streckte ihm die Zunge heraus.
»Oder vom Bestatter?«, lachte er weiter.
Die Helferinnen wuschen die Früchte, schnitten sie auf, pulten die Kerne heraus und befüllten die Dosen damit, begossen sie dann mit Wasser direkt aus dem Schlauch und schoben die
riesigen Dinger schließlich der Chefin zu. Nette bediente eigenhändig die gusseiserne Verschließmaschine, ein Ungetüm aus der Gründerzeit der Konservenindustrie, das
vielleicht ein Hüne hätte leicht bedienen können, nicht aber eine noch so eifrige Frau. Auf jede gefüllte Dose legte sie einen Deckel, stellte sich hin, brachte ihr geringes
Körpergewicht auf ein Pedal, klemmte die Dose zwischen zwei Drehscheiben und zog einen Hebel kräftig an. Während das Teil in der Maschine rotierte, spritzte kaltes Wasser auf ihre
Gummischürze, auf ihr
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