Süße Teilchen: Roman (German Edition)
an Silvester 1993 in der Washington Avenue? Meine Damen und Herren, hier kommen Ericc und Thor.«
Ich werfe den Kopf in den Nacken und fange schallend an zu lachen. Wie konnte ich die beiden vergessen? Besagten Silvesterabend verbrachten wir mit zwei männlichen Models. Wir hatten sie in der Bar kennengelernt, die einmal Mickey Rourke gehörte. Laura und ich waren total aus dem Häuschen, denn vorher hatte ein Galeriebesitzer im fortgeschrittenen Alter, der auf unsere achtzehnjährigen Körper scharf war, uns Mickey Rourke vorgestellt.
»O Gott«, stöhne ich. »Ericc mit zwei C und den gemeißelten Gesichtszügen. Mann, sah der Typ albern aus. Mit ihm habe ich die langweiligste Zeit meines Lebens verbracht.« Ich erinnere mich an sein Bettgeflüster, bei dem es um die Details seiner Nahrungsergänzungsmittel ging, zum Beispiel um Chrompicolinat, angeblich das größte Wunder aller Zeiten.
»Muss ich noch mehr sagen?«, fragt Laura.
Nach unserem zweiten Date sagte James zum Abschied: »Ich melde mich.«
Das war vor sechs Tagen. Seitdem kam weder ein Anruf noch eine SMS. Ich fürchte, es war ein Fehler, ihn vor dem Curry-Paradies zwanzig Minuten lang zu küssen. Womöglich fand er das schmalzig oder zu begierig meinerseits. Oder es lag an meiner dummen Bemerkung über die Typen, die sich Models suchen, denn dadurch habe ich bestimmt unsicher und eifersüchtig gewirkt.
Okay, dann werde ich jetzt etwas tun, durch das ich noch unsicherer und eifersüchtiger werde. Gute Idee, oder?
Ich rufe bei Google die Bilder zu »Céline + Wolford + Model + Französin + Beine« auf und erhalte umgehend über siebenhundert Fotos. Auf keinem gleicht sie auch nur im Entferntesten einem Mops.
Ich weiß, ich sollte die Sache jetzt sofort abbrechen, die Frau ist schließlich verheiratet. Ist doch völlig egal, ob sie schön ist oder nicht. Immerhin trifft er sich jetzt mit mir.
Hm. Ich vergrößere das erste Foto. Und bin erleichtert. Céline hat dunkelblondes Haar, braune Augen und ein Gesicht wie eine Disneyfigur. Sie sieht aus, als äße sie jede Menge Joghurt und Äpfel. Nächstes Foto. Eine Nahaufnahme. Trotz ihres Lächelns macht sie einen ängstlichen Eindruck, als hätte sie eben erfahren, dass ihr Geld nichts mehr wert ist. Drittes Foto, letztes Jahr beim Filmfestival von Cannes aufgenommen. Der Mann an ihrer Seite muss der Argentinier sein, rundlich, schätzungsweise Mitte fünfzig, Typ Oligarch. Sie hat sich das Gesicht mit Botox vollspritzen lassen, aber der Körper ist skelettartig. Sie krallt sich in den Arm des Mannes, man sieht die vielen Ringe an ihrer Hand.
Auf dem vierten Foto trägt sie nur einen String-Tanga und Hosenträger, und da werde ich erstmalig neidisch.
Ihre Beine sind perfekt, lang, wohlgeformt, einfach erstaunlich. Muss ja auch so sein, schließlich hat sie zwei Wolford -Beine. Das ist ihr Job. Höchste Zeit, dass ich mich wieder meinem Job widme.
Ich rufe die Testberichte über meine letzten Kompott-Kreationen auf.
Außerdem ist sie jetzt verheiratet. Und zwar nicht mit James.
Ah, gut, meine Kompotte sollen schwerer werden, mehr Pudding enthalten, und bei der Schlagsahne soll ich auf achtunddreißig Prozent Fettanteil gehen.
Dann hat sie eben phantastische Beine, aber deshalb muss sie noch lange nicht klug oder nett oder witzig sein.
Weiter im Text. Die Sache mit der ungleich verteilten Mandelmasse wurde behoben. Verfallsdatum nach sieben Tagen. Devron wird begeistert sein.
Gut, ihre Beine sind phantastisch, aber klug, nett und witzig kann sie nicht sein.
Reiß dich zusammen, Sophie, er ruft schon noch an. Und wenn nicht? Dann ist das eben so. Die beiden sind nicht zusammen, Céline spielt keine Rolle. Er geht mit mir aus, oder nicht? Ich beschließe, James anzurufen. Wenn er mich mag, ist das in Ordnung, wenn nicht, wird es lediglich das Ende unserer Beziehung beschleunigen. Ich will nicht immer wieder denselben Mist denken, in zwei Tagen habe ich ein wichtiges Meeting, auf das ich mich noch vorbereiten muss. Also anrufen, dann habe ich es hinter mir, so oder so.
Ehe mich die Stimme der Vernunft bremsen kann, wähle ich seine Nummer. Das Klingelzeichen hört sich nach Ausland an. Ich lege sofort wieder auf.
Er hat mit keiner Silbe erwähnt, dass er verreisen würde. Warum nicht? Ist er nach Paris geflogen?
Schluss jetzt. Ich lösche James’ Nummer aus meinem Verzeichnis und aus der Liste der getätigten Anrufe. So was muss ich mir nicht antun. Nick hat mich jeden Tag mindestens einmal
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