Süße Teilchen: Roman (German Edition)
angerufen und das seit dem ersten Tag unserer Bekanntschaft. Er liebte mich und wollte es beweisen. Nie hat er mich unsicher gemacht, nicht ein einziges Mal. Er hat mich höchstens gelangweilt und wütend gemacht, mich runtergezogen, klar, aber unsicher? Niemals.
Falls James Stephens mich will, muss er sich eindeutig mehr ins Zeug legen.
Der durchschnittliche Mensch berührt seine Nase täglich ein paar Dutzend Mal. In diesem – aber nur in diesem – Punkt ist Devron dem Durchschnittsmenschen haushoch überlegen, denn er berührt seine Nase mindestens dreimal pro Minute, zupft daran herum, kneift den Nasenrücken oder spielt mit der Spitze, als wolle er heimlich popeln. Dann wieder drückt er die Nasenflügel zusammen, schnaubt vernehmlich und wischt die Hand an der Hose ab. Bei unseren Meetings spielen Eddie und ich deshalb immer Nasen-Bingo. Wer als Erster zwanzig von Devrons Fummeleien beobachtet hat, flüstert »Wichser« und gewinnt die Luxusversion der heißen Schokolade aus unserer Kantine.
Am absolut schlimmsten behandelt Devron seine Nase bei dem, was wir »Phase-vier-Meeting« nennen.
Dieses Meeting findet statt, ehe wir eine neue Serie auf den Markt bringen. In den Phasen eins bis drei sagen wir unseren Lieferanten, was sie zu tun haben, kosten erste Proben, machen Tests hinsichtlich Verfallsdatum, Stabilität und Transport und entwickeln das Produkt entsprechend weiter.
Die Meetings der Phase vier sind der Grund, weshalb ich meinen Job nie freiwillig aufgeben würde, eher müsste man mich in einer Zwangsjacke abführen.
Bei Phase vier sitzen wir wie eine Gruppe römischer Senatoren da, nur dass wir statt Togen Bürokleidung tragen. Jedes Mal essen wir uns durch die jeweilige Testserie hindurch, ganz gleich, ob es wie heute um zwölf Flammeris und acht Kompottsorten geht oder wie bei Eddie letzte Woche um dreiundzwanzig Curry-Gerichte, die ich in einer Stunde gekostet habe. Natürlich verputzt man nicht alles restlos, sondern nimmt lediglich einen Bissen, den die meisten anschließend in einen Becher spucken. Ja, genau so ist es, sie spucken das Gekaute in einen Plastikbecher, als wären wir auf der Weihnachtsfeier der Anonymen Bulimiker.
Ich tue das nie. Es ist keine Frage der Etikette, denn die meisten Frauen und sogar einige Männer spucken so diskret, dass man kaum sieht, wie sie den Mund öffnen und einen halb gekauten Brocken in den Becher fallen lassen. Ich halte das für Betrug, und deshalb schlucke ich alles hinunter. Nahrung, die in meinen Mund geht, kommt auch in meinen Magen. Für mich ist das eine Frage der Ehre. Bei Eddies Phase vier, beispielsweise, saßen sechs Männer und vier Frauen zusammen, aber ich war die Einzige, die alle dreiundzwanzig Currys ohne Spucken schaffte. Insofern ist es ein Glück, dass ich nur zu meinen, zu Lisas und zu Eddies Phase-vier-Meetings gehe und den Weg zur Arbeit täglich zu Fuß zurücklege.
Die offiziellen Regeln bei diesen Treffen lauten:
– Jedes Gericht wird mit einer neuen Gabel gekostet.
– Niemand taucht mit der Gabel ein zweites Mal in ein gemeinsames Gericht.
– Man tut, als esse man aus Pflichtgefühl und nicht zum Vergnügen, sonst könnte das Ganze als Vergünstigung ausgelegt werden.
Devron ignoriert diese Regeln komplett und benutzt zum Probieren außerdem gerne den Finger, der gerade noch in seiner Nase war.
Deshalb sorge ich bei meinen Phase-vier-Meetings jedes Mal dafür, dass es von allem zwei Portionen gibt, eine für Devron und die andere für den Rest. Trotzdem kann es sein, dass Devron vor zwei identischen süßen Teilchen mit Kirschen sitzt und beide mit dem Nasenfinger berührt. Popeln, berühren, popeln, kosten. Ich kann keinen Pudding mehr essen, den Devron angefasst hat, nicht einmal von der anderen Seite her. Eines Tages flippe ich wahrscheinlich aus, schleudere ihm Pudding ins Gesicht oder ramme ihm ein Churro in die Nase und bringe ihn um.
An diesem Tag laufe ich zum Kühlschrank, um die Proben zu holen, die Appletree geliefert hat. Mit Will Slater, meinem Kontaktmann dort, arbeite ich unglaublich gern zusammen, nicht zuletzt, weil er mir immer einen kleinen Karton voller mit Pudding gefüllter Eclairs schickt, die der Chef-Konditor von Appletree auf Wills Bitte hin für mich gemacht hat.
Zoë, die bei uns für den Kühlschrank zuständig ist, findet, ich sei zu dünn, und sagt, mit Kurven gefalle ich ihr besser. Sollte ich mich je für eine Frau entscheiden, würde meine Wahl auf Zoë fallen. Mit ihren Haaren
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