Sueße Versuchung
daran, ihr etwas anzutun.
Edward legte die Pistole vor sich auf den Tisch und nahm eine zweite zur Hand. Er sah zu Jonathan hinüber. »Ist schon jemand gekommen, der verdächtig wirkt?«
Jonathan äugte angestrengt durch das Guckloch. Er hatte dieses Mal auf jegliche Verkleidung verzichtet. Das Thema des Abends hatte das vorrevolutionäre Frankreich zum Inhalt, und obwohl Jonathan es nicht zugab, war er abergläubisch wie alle Seemänner. Er würde sich niemals in die Tracht eines Mannes kleiden, dessen Kopf in einem Korb gelandet war.
»Smiley hat mir noch kein Zeichen gegeben. Es sind auch nur zwei weitere Gäste eingetroffen. Und das kann nicht unser geheimnisvoller Freund sein. Einer davon ist Henry und der zweite ein ganz junger Bursche.« Er machte eine überraschte Bewegung, dann stieß er einen leisen Pfiff aus. »Aber den Burschen solltest du dir vielleicht einmal ansehen, Ed.«
Jonathans breites Grinsen machte Edward misstrauisch. Er trat zum zweiten Guckloch, sah hindurch, konnte unter all den männlichen Gästen jedoch keinen entdecken, der sein Interesse und Jonathans Amüsement erwecken konnte.
»Hinter den Palmen. Der kleine Schlanke, der immer vorlugt und unruhig hin und her läuft. Der mit den hübschen Beinen. Der jetzt Henry winkt.«
Edward warf Jonathan einen scharfen Blick zu, aber der antwortete nur mit einem erwartungsvollen Gesicht. Edward besah sich den fraglichen Burschen näher. Sein Gesicht war im Schatten, man konnte nur die weiß gepuderte Perücke ausmachen, ein Halstuch, dann eine bestickte Jacke, Weste, Kniehosen, Seidenstrümpfe, tatsächlich sehr hübsche Waden. Ganz im Stil von Louis XVI gekleidet. Ein Freund von Henry?
Edward überlegte, was an dem Bürschlein so interessant sein könnte.
Und dann wandte der Junge sich um und bot Edward einen Blick auf seine Kehrseite.
Die Jackenschöße verdeckten zwar die wohlgeformte Fülle, aber Edward hätte den Hintern seiner Frau unter Tausenden und in schwärzester Nacht wiedererkannt. Zuerst blieb ihm die Luft weg, dann drehte er auf dem Absatz um und wollte hinaus, aber Jonathan hielt ihn fest.
Edward stieß ihn zur Seite. »Geh mir aus dem Weg! Sie hat hier nichts verloren!«
»Willst du denn nicht wissen, was sie hergeführt hat?«
»Doch, deshalb werde ich jetzt auch hinausgehen und ihr die Leviten lesen.« Edward war schon fast an der Tür.
»Damit machst du unseren Freund, falls er schon unter den Gästen sein sollte, nur auf sie und uns aufmerksam.«
Edward blieb stehen.
»Lass besser Melinda hinausgehen. Dann sieht unser unbekannter Freund gleich, dass sie hier ist, und sie kann deine Sophie unauffällig zum Ausgang bringen. Du wartest dort und sorgst dann dafür, dass sie in die Kutsche steigt und heimfährt.«
Jonathan hatte recht. Es war weitaus unauffälliger, wenn Melinda sich seiner als Junge verkleideten Frau näherte. Niemand würde auf die Idee kommen, dass Sophie unter der Maskerade steckte – auch nicht dieser geheimnisvolle Anführer, dem Edward nicht auch noch seine Frau in die Hand spielen wollte. Wenn sie Druck auf Melinda machten, dann konnten sie auch Sophie gegen ihn benützen. Wenn Edward allerdings hinausstürmte, Sophie zurechtwies und sie dann unter ihrem zu erwarteten lautstarken Protest hinausschleppte, fiel es zweifellos jedem der Anwesenden auf.
In diesem Moment öffnete sich die zweite Tür, die über eine geheime Treppe zu den Schlafzimmern im ersten Stock führte, und Melinda kam herein. Sie hatte sich ein wenig frisch gemacht und sich dem Abend entsprechend umgekleidet.
Edward zog seine Schwester sofort zum Guckloch. »Siehst du den Jungen? Der hinter der Palme?«
Sie kniff ein Auge zusammen, lehnte sich anmutig vor und sah hinaus. »Ja. Ein hübscher kleiner Kerl. Was ist mit ihm?
»Du kennst ihn. Es ist der Bengel von den Klippen. Der dir unbedingt helfen wollte.«
Edwards Stimme klang etwas gepresst.
»Oh.« Melinda war erschrocken. »Und was macht ein so lieber Junge hier?«
»Neugierig sein. Viel zu neugierig sein«, erwiderte er grimmig. »Und ich möchte, dass du ihm das abgewöhnst.«
Melinda lächelte. »Und wie soll ich das machen? Hinausgehen und ihn schelten, als wäre ich seine Mutter?«
»Du könntest dich bei ihm bedanken, dass er dir helfen wollte. Und dabei kommst du ihm ein wenig zu nahe.«
»Was fällt dir ein?!«
Edwards Blick wurde durchdringend. »Du hast ihn damals auf den Klippen in die Sache reingezogen. Kein Wunder, dass er immer neugieriger
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