Sueße Versuchung
Ausstattung der Dame bei jedem Schritt leicht hüpften oder wogten.
Sophie stand mit offenem Mund in der Tür zum Ballsaal, bis Henry ihr einen Stoß gab. »Vergiss nicht«, zischte er ihr zu, »du gehörst dazu. Starr nicht so!«
Sophie schoss ihm einen scharfen Blick zu, dann ließ sie sich von ihm seitlich durch den Saal führen, bis sie in einer heimeligen Nische aus Palmen landeten, von der aus man den Saal gut übersehen konnte, ohne selbst sofort bemerkt zu werden.
»Du bleibst in jedem Fall hier!«, kam es befehlend von ihrem Vetter. »Sollten wir Lady Melinda nicht sofort entdecken, dann gehe ich allein auf die Suche nach ihr. Und wehe, ich sehe dich irgendwo da draußen!«
»Schon gut.« Sophie war besorgter, als sie Henry gegenüber zeigte, und sie hatte nicht die Absicht, sich unter die Feiernden zu mengen. Vor allem, als sie sah, wie ein junger Dandy, der ähnlich gekleidet war wie sie, von drei busenfreien Damen in eine Ecke gedrängt wurde. Es schien ihm zwar zu gefallen, aber als die Frauen ihn langsam aus der Kleidung zu schälen begannen, erschrak Sophie. So etwas wäre für sie nicht nur peinlich, sondern katastrophal. Sie wandte sich von der kleinen Gruppe ab und musterte die anderen Gäste. Edward war groß, es konnte nicht schwer sein, ihn auszumachen, wenn er sich hier im Ballsaal befand. Falls nicht, so musste Sophie andere Mittel und Wege finden, ihn aufzustöbern. Vielleicht konnte ja wirklich seine Schwester dabei helfen.
So wie beim letzten Mal gingen Diener mit Getränken im Saal umher, und Sophie griff nach einem Glas und leerte es in einem Zug. Das prickelnde, gekühlte Getränk tat gut. Auch die Kapelle war wieder da. Sie spielte fröhliche Weisen, während Henry langsam durch den Saal schlenderte und beiläufig in die verschiedenen Nischen spähte. Als er wieder zurückkam, schüttelte er den Kopf. »Sie ist nicht hier im Saal.
Das heißt aber nicht, dass sie nicht schon anwesend ist. Vielleicht befindet sie sich in einem der anderen Salons. Oder in einem der Gästezimmer.«
»Dann müssen wir dort suchen!«
»Nein, das werden wir nicht! Ich bin froh, dass du hier einigermaßen sicher bist!«
Sophie spähte über Henrys Schulter. »Wie sieht Lady Melinda denn aus?«
»Sie ist ziemlich groß. So groß wie ich.«
»Du bist doch nicht groß.«
»Ich bin …«, begann Henry erbittert, unterbrach sich dann jedoch seufzend und suchte weiter.
* * *
Der schmale, gangförmige Raum, dessen Wand die ganze Länge des Ballsaals einnahm, war zu den Zeiten von Sophies Großeltern von Bediensteten benutzt worden, die bei Festen hier unauffällig und geschäftig hin und her eilen konnten, ohne die Halle oder den Saal zu betreten. Aber nun war dieser versteckte Durchgang schon seit vielen Jahren nicht mehr begangen worden, und keiner, der das Haus nicht wie Jonathan Hendricks von oben bis unten durchstöbert hatte, wusste überhaupt davon.
Jonathan hatte damit den anderen Mitgliedern seiner Bande gegenüber einen Wissensvorsprung, den er auch weidlich ausnutzte. Dieser Raum hatte nämlich eine höchst nützliche Besonderheit, die darin bestand, dass er zwei von außen durch Wandfresken kaschierte Gucklöcher aufwies, durch die man den daneben liegenden Saal bequem beobachten konnte.
Diese Spionagelöcher hatten dem derzeitigen Mieter bereits gute Dienste geleistet, wenn es darum ging, gewisse Gäste zu bespitzeln. Und auch jetzt stand Jonathan bei einem der Gucklöcher und sah aufmerksam hindurch, während Edward an einem Tisch saß und seine Pistole prüfte. Sie hatten den Hinweis bekommen, dass der geheimnisvolle Schmuggleranführer, der Mann im Hintergrund, der die Fäden zog, heute zum Fest kommen wollte.
Da Melinda auf den ersten Brief keine Reaktion gezeigt hatte, war nun ein zweiter eingetroffen, der noch mehr Druck machte. Der Schreiber versuchte sie mit ihrem Verhältnis zu Jonathan und ihrer Teilnahme an dessen Festen zu erpressen. Edward hatte entschieden, dass Melinda zum Schein darauf eingehen sollte. Wenn der geheimnisvolle Bandenführer tatsächlich persönlich auftauchte, um im Schutz der Gäste mit Melinda zu sprechen, so war dies die Gelegenheit, auf die sie schon lange gewartet hatten. Smiley und seine Leute standen schon bereit, um ihn danach zu verfolgen. Jonathan war dagegen gewesen, Melinda als Lockvogel zu verwenden, aber Edward hielt die Gefahr, in der seine Schwester schwebte, für akzeptabel. Sie wurde gut bewacht, und der Schmuggler hatte kein Interesse
Weitere Kostenlose Bücher