Sueße Versuchung
Ecke des Ganges befand, befreite sie sich aus dem Griff. Der Gedanke, Edward könnte so wie dieser Schäfer seine Geliebte ebenfalls in eines der Gästezimmer zerren, ließ sie nicht los und tat ihr so weh, dass sie am liebsten geschrien hätte. Sie musste unbedingt nachsehen und Gewissheit haben. Kein McIntosh würde jemals den Kopf in den Sand stecken, sondern den Tatsachen immer ins Auge blicken.
»Ich muss zuerst wissen, ob Edward hier ist.« Sophie sprach ganz langsam, um das Lallen in den Griff zu bekommen. Sie blinzelte, bis der Raum um sie herum zu wanken aufhörte. »Lassen Sie mich los. Ich muss Edward finden! Edw …«
Alles drehte sich. Sie schloss die Augen und lehnte sich an die Wand. Es war ihr, als befänden sich plötzlich mehrere Personen um sie herum, und sie vernahm, dass Melinda jemandem mit unterdrückter Heftigkeit Ohrfeigen androhte. Sie wollte sehen, mit wem ihre Schwägerin sprach, schüttelte den Kopf, um klar zu werden, und taumelte. Aber plötzlich war ein Arm da, der sie hielt. Ein Rascheln von Röcken. Ein fester Griff.
Lady Melinda hatte wieder den Arm um Sophies Taille gelegt und hielt sie fest, während Sophie neben ihr durch den Raum stolperte, einige Stufen hinunter, dann durch einen dunklen Gang bis zur Hintertür. Sophie kämpfte gegen den Schwindel an und war dankbar für den Halt, den ihre Schwägerin ihr gab. Lady Melindas Gegenwart war plötzlich nicht mehr belästigend, sondern vermittelte Sophie ein angenehmes Gefühl von Schutz. Melinda schien sich überhaupt verändert zu haben. Sie war zwar etwas größer als Sophie, aber nun schien sie noch ein wenig gewachsen zu sein. Oder hatte der Champagner Sophie schrumpfen lassen? Gab es so etwas? Lag es daran, dass ihre Knie so weich waren und einsanken? Sie runzelte die Stirn, um darüber nachzudenken, aber da war sie auch schon vor der Kutsche.
Melinda, die sich als überraschend kräftig entpuppte, drängte sie hinein, nahm neben ihr Platz, die Tür wurde zugeworfen, und die Pferde zogen an. Melindas Arm lag unverrückbar um Sophies Taille, sie zog sie an sich, um sie festzuhalten, als der Wagen über einige Löcher in der Straße rumpelte, und Sophie fast vom Sitz rutschte.
Sie waren einander so nahe, dass Sophie den Schleier der anderen auf ihrem Gesicht fühlen konnte.
»Du bist ein sehr eigensinniges Ding.« Melinda flüsterte, ihre Stimme klang heiserer als zuvor. »Wie kommst du eigentlich auf die Idee, Edward könnte hier sein?«
»Augusta hat es behauptet …« Das Schaukeln der Kutsche verstärkte offenbar noch die Wirkung des Champagners, und es war so dunkel, dass Sophie ihre Schwägerin nur als neben ihr aufragenden, verschwimmenden Schatten erkennen konnte.
»Augusta. So. Deine liebe Cousine.« Melinda klang grimmig. »Das Weib ist doch die personifizierte Bosheit. Eine Hexe.«
Sophie begann zu schluchzen. Jetzt, da sie auf dem Heimweg war, und Melinda so passende Worte über Augusta gefunden hatte, brach ihr ganzes Elend über sie herein.
»Sie war so gemein! Sie hat gesagt, er hätte eine Geliebte und wäre gar nicht in London.«
Melinda war still. Man hörte gut eine Meile lang nur Sophies herzzerreißendes Weinen, das von Schniefen begleitet wurde, gelegentliches Schnäuzen, wenn sie in das von Melinda hingehaltene Tüchlein blies, das Knarren des Leders, die Räder, wenn sie auf einen Stein stießen, das Schnauben der Pferde, und manchmal ächzten und quietschten die Wagenachsen und Federn auf dem unebenen Weg.
Endlich unterbrach Melinda das Schluchzen. »Soll ich dich küssen? Damit du zu weinen aufhörst?«
»W … was fällt Ihnen ein?!« Diese Frage schockierte Sophie und brachte ihre Tränen tatsächlich kurzzeitig zum Versiegen. Als Melinda sie zuvor geküsst hatte, war dies aus Unwissenheit über Sophies tatsächliche Person geschehen, aber nun war es ungehörig, so einen Vorschlag zu machen.
Melinda schien das anders zu empfinden, ihr linker Arm hielt immer noch Sophies Taille fest umfasst, aber die dazugehörige Hand lag plötzlich wie von selbst auf Sophies Brust und die rechte Hand unter ihrem Kinn.
Sophie wand sich in der Umarmung. »L … lassen Sie das.« Unter Schwägerinnen war das bestimmt nicht die übliche Art, einander zu trösten.
»Du bist ein sehr prüdes kleines Ding«, sagte Melinda tadelnd. »Die anderen Frauen hier sind weitaus offener.«
»Ich bin aber nicht wie die anderen hier«, zischte Sophie.
»Nein, du hast recht. Du bist nicht wie die anderen. Du bist viel
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