Sueßer Tod
und ihr Mann war tot; sie verkaufte das Haus, in dem die Familie gewohnt hatte und zog in eines der Collegeapartments. So war sie viel freier, konnte reisen, wie sie wollte, schloß einfach die Tür hinter sich ab und sagte einem Nachbarn Bescheid. Es war ein hübsches, geräumiges Apartment, aber nichts Besonderes.«
»Was geschah damit nach ihrem Tod?«
»Ihr Sohn und ihre Tochter kamen her und lösten die Wohnung auf – wohl vor allem der Sohn, da die Tochter ja Ärztin ist und nicht so viel Zeit erübrigen konnte.
Sie beide nahmen sich einige von Patrices Sachen. Vieles gaben sie fort, und die Dinge, bei denen sie nicht wußten, was mit ihnen anfangen, lagerten sie 122
irgendwo.«
»Und dann…«, fragte Kate.
»Vor kurzem zog Sarah um«, sagte Archer, »als das Baby unterwegs war. Sie holte die Sachen ihrer Mutter aus dem Lagerhaus, darunter auch ihre Aktenordner.
Und bei der Gelegenheit entdeckte sie den neuen Tagebuchteil.«
»Verkehrte Patrice viel mit den anderen Professoren und Dozenten? Ging sie zum Essen zu ihnen oder besuchte sie oft?« fragte Kate.
»Wie ich Ihnen schon bei unserer ersten Begegnung erklärte«, sagte Bertie,
»damals, als ich Sie zu unserer Cocktailparty einlud: Patrice haßte Cocktailparties.
Und sie kochte nicht besonders gern. Gelegentlich verabredete sie sich mit Leuten in einem Restaurant: auf neutralem Boden, wie sie sagte. Ich glaube, sie hatte keine Lust, sich mit Essenkochen zu belasten. Aber wenn Patrice und ich nicht gerade den See umkreisten, saßen wir zum Beispiel oft bei ihr zu Hause oder bei mir, öfter bei ihr, weil dort keine Kinder waren, und redeten über alles mögliche. Kommt das irgendeiner Theorie von Ihnen entgegen?«
»Ich wünschte, ich hätte eine Theorie, oder wenigstens eine zündende Idee«, sagte Kate. »Aber wie’s scheint, muß ich erst mit endlos vielen Leuten endlosen Unsinn reden, ehe ich überhaupt etwas erfahre. Die Krux ist, daß ich nicht einmal weiß, was ich eigentlich wissen will. Im Gegensatz zu Ödipus, der wissen wollte, was an dem Kreuzweg geschehen war, und sonst nichts. Ich tappe nur im dunkeln, und dann fällt mir irgendwann auf, daß ich nicht mal eine Ahnung habe, wo Patrice gelebt hat.«
»Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen das Apartment zeigen«, sagte Bertie.
»Natürlich wohnt jetzt jemand anderes dort. Glauben Sie vielleicht, unter den Fußbodendielen wäre ein Abschiedsbrief versteckt?«
»Wenn Patrice einen Abschiedsbrief geschrieben hätte, dann hätte sie ihn an der Tür angeschlagen, wie Luther«, sagte Lucy. »Jedenfalls hätte sie ihn nicht versteckt.«
»Wenn ich euch erinnern darf: Sie hinterließ einen Abschiedsbrief«, sagte Archer.
»An diesen Brief glaube ich nicht – nicht mehr«, sagte Bertie. »Ich denke, Veronica hatte recht. Archer hat uns von Veronicas Vermutung erzählt«, fügte er an Kate gewandt hinzu.
»Nein«, sagte Kate. »Ich will das Apartment nicht sehen. Ich glaube, ich mache einen Spaziergang um den See.«
»Hätten Sie gern Gesellschaft?« fragte Bertie.
»Das Angebot gilt nur für Sie«, sagte Archer. »Wenn ich das nächste Mal weiter als bis zum nächsten Taxi laufe, dann wird das auf gepflasterten Bürgersteigen sein.«
»Lucy?« fragte Bertie.
»Ich hab das Dinner in Vorbereitung, zu dem Kate hoffentlich bleiben wird.
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Warum geht ihr zwei nicht, und Archer und ich zechen in der Küche?«
»Ich glaube, Kate geht lieber allein«, sagte Bertie. »Darf ich mich dem Gelage anschließen?«
Kate lächelte sie an und versprach, in einer Stunde zurück zu sein.
Wieder einmal überquerte sie den Campus. Wahrscheinlich schon morgen früh würden Archer und sie diesen Ort verlassen, und sie freute sich auf ihren letzten Spaziergang um den schönen See. Da er Patrice das Leben gekostet hatte, hätte er ihr eigentlich zuwider sein müssen. Aber Gewässer sind eigenartig unschuldig an den Leben, die ihnen geopfert werden. Kate hatte einst die Uferwiesen erforscht, auf denen Virginia Woolf mit ihrem Hund spazierenging und über ihre Bücher nachsann. Sie war sogar die kleine Böschung zu dem Fluß hinuntergeklettert, in dem Woolf sich ertränkt hatte. Im Grunde war es gar kein Fluß, sondern ein Meeresarm, salzig -Kate hatte das Wasser gekostet – und mit einer so starken Strömung, daß die beiden Schwäne, die gerade vorübergezogen waren, sich treiben lassen konnten. Auch damals hatte Kate nicht das Gefühl gehabt, der Fluß habe Virginia Woolfs Leben gefordert.
Heute
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