Süßer Zauber der Sinnlichkeit
ihr eigenes Gebet zusammen, in welches sie ihre ganze Angst und Machtlosigkeit legte, all ihre Verwirrung, ihre Verbitterung, ihren Zorn.
Als sie sich schließlich erhob, stellte sie fest, dass ihre Knie steif und wund waren. Sonderbar, denn nach ihrem Gefühl war es gar nicht so lange her, seit sie mit ihren Fürbitten begonnen hatte. Auch der Abt und sein Stellvertreter erwachten aus ihrer tiefen Versunkenheit und blickten zu ihr auf.
"Hast du deine Antwort erhalten, mein Kind?"
Dominie überlegte einen Augenblick. "Ja, Pater, ich denke schon."
Noch vor einer Stunde hätte sie eine solche Antwort nicht akzeptieren können. Nun aber hatte sich ein zwar wenig vertrautes, doch angenehm friedvolles Gefühl über sie gelegt.
Eine flüchtige Bewegung im Rückraum der Kapelle erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war eine ihrer Zofen.
"Lady Dominie, man schickt mich, Euch zu holen. Eure Mutter ist von Wakeland hier eingetroffen."
"Mutter?" Dominie fasste sich an die Stirn. "Gütiger Himmel! Natürlich! Zur Hochzeitsfeier! Hat sie die Kunde bereits vernommen?"
"Ja, Mylady, der ganze Burghof war doch in Aufruhr deswegen! Deshalb komme ich her. Sie hat es nicht sonderlich gut aufgenommen."
Dominie seufzte. "Ich kann's mir vorstellen. Ich komme sogleich!" In welchem Zustand würde Lady Blanchefleur erst sein, wenn sie von den Plänen ihrer Tochter erfuhr? "Ich werde auf dich hören, lieber Gott", flüsterte sie. "Ich gelobe es! Gib du mir nur die Kraft … oder deine Hilfe … irgendetwas!"
Es war finster, als Armand vom Brummen in seinem Schädel unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde.
Seine Seite schmerzte nicht mehr, oder möglicherweise fiel es ihm nicht auf, denn sein Kopf fühlte sich an wie ein Pfahl, den man zu häufig als Ziel beim Speerwerfen benutzt hatte. Wie eine kalte, erstickende Woge brach es dann über ihn herein, als er sich erinnerte, wo er sich befand und wie er hierher gekommen war.
Er war allein, unbewaffnet und zudem verwundet, umgeben von gnadenlosen Gegenspielern, die keinerlei Skrupel kannten und ihn zu ihrem Zeitvertreib zu Tode martern würden. Meilen von undurchdringlichem, tückischem Moorland lagen zwischen ihm und der Hoffnung auf Entkommen – ein schier aussichtsloses Unterfangen, hatte er doch diese Möglichkeit mit beiden Händen verworfen, indem er Dominie jene eine Wahrheit offenbarte, um ganz sicherzugehen, dass sie ihn fortan hasste.
Doch so düster seine Lage im Augenblick auch erschien: Einer merkwürdigen Leichtigkeit im Herzen konnte er sich gleichwohl nicht erwehren. Zwar war er nicht vollends überzeugt, dass die Wahrheit ihn wirklich befreit hatte. In der Rückschau indes wurde ihm klar, dass er bislang der Gefangene seiner eigenen Lebenslüge gewesen war.
In dem Bemühen, sich von seinen Kopfschmerzen abzulenken, zwang er sich dazu, sich die Einzelheiten seiner Umgebung genauestens einzuprägen. Er lag auf einem Bund faulig stinkenden Strohs, welches vermutlich von Ungeziefer nur so wimmelte. Als er seine Glieder zu bewegen versuchte, stellte er fest, dass sein rechter Knöchel in einer Art Fußfessel stak, geschmiedet an ein Stück schwere Kette. Nicht einmal ansatzweise konnte er sich entsinnen, wie ihm diese Fessel angelegt worden war.
Als er plötzlich das Gefühl hatte, zu verdursten, tastete er in der Dunkelheit nach etwas Trinkbarem, stieß aber auf keinen Tropfen. Es war ja auch zwecklos, das Leben eines Gefangenen erhalten zu wollen, wenn Eudo St. Maur es ihm sowieso Stück für blutiges Stück zu nehmen gedachte. Da aber Armand zum Widerstand weiter nichts blieb als der Wille zu überleben, wollte er diesen Weg gehen, solange auch nur ein Funke Lebenskraft in seinem Körper glomm.
Sich in das Schicksal zu fügen hätte bedeutet, das Böse triumphieren zu lassen.
Den gesamten folgenden Tag über mimte Armand den Bewusstlosen, sobald St. Maurs Schergen in seine Nähe kamen. Waren die Widersacher wieder fort, setzte er all seine Sinne ein, um sein behelfsmäßiges Verlies genau zu studieren und möglicherweise eine Schwachstelle zu entdecken, die er nutzen konnte.
Zu seinem Erstaunen und Verdruss musste er feststellen, dass die Gesetzlosen ihr Lager in einer kleinen Priorei auf einer Art Werder aufgeschlagen hatten, einer trockenen Sandbank inmitten des Marschlands. Wahrscheinlich war das auch sinnvoll, denn der Ort war ursprünglich dazu ausersehen gewesen, eine Mönchsgemeinschaft zu beherbergen – allerdings nicht zu solch üblen Zwecken.
Von der
Weitere Kostenlose Bücher