Süßer Zauber der Sinnlichkeit
Überzeugung, dass es Armands Wunsche entspräche. Er war es, der deinem Vater bei Lincoln den tödlichen Hieb versetzte. Das war auch der Grund, der ihn auf der Suche nach Vergebung ins Kloster trieb … allein, die Lossprechung, die fand er zu Breckland nie."
Die sanften Worte des Mönchs trafen Dominie nun wie ein schmerzhafter Schlag. Gern hätte sie die Ohren davor verschlossen, doch es ging nicht. Zu viele Rätsel lösten sich nun im umbarmherzigen Lichte der Wahrheit: Armands Gelübde, der Gewalt zu entsagen, der Eifer, mit welchem er sich der Rettung von Harwood gewidmet hatte – ja, sogar seine kaum verhüllte Reue wegen ihrer gemeinsamen Liebesnacht.
"Im Tohuwabohu der Schlacht wusste Armand nicht, dass er deinem Vater gegenüberstand. Erst danach entdeckte er es, und ihn überfiel bittere Reue!"
"Und mit Recht!" Ihre Empörung verschaffte sich Luft, als flöge der eng geschlossene Deckel von einem brodelnden Suppenkessel. "Mag sein, dass er nicht beabsichtigte, meinen Vater zu töten! Als er sich aber auf Mauds Seite schlug, da hätte er sich doch denken können, dass er womöglich gegen einen De Montford würde antreten müssen! Wenn nicht gegen meinen Vater, so doch gegen seinen Busenfreund, meinen Bruder Denys! Und trotzdem schloss er sich der Kaiserin an! Dieser Treuebruch zerriss meinem Vater schier das Herz!"
Und ihr ebenfalls!
Seit seiner Rückkehr nach Harwood hatte sie sich nach Kräften bemüht, dies alles hinter sich zu lassen. Offenbar war sie gescheitert, wollte man den frischen, nackten Zorn, der nun in ihr aufloderte, als Zeichen deuten.
"Wenn du so denkst, mein Kind", murmelte der Abt, "dann wirst du sicherlich wissen, was du zu tun hast." Damit knieten er und sein Stellvertreter zum stillen Gebet vor dem bescheidenen Altar nieder.
Und ob ich das weiß, hätte Dominie gern wie rasend dem heiligen Mann entgegengeschleudert. Welche Wahl blieb ihr denn noch?
Das Leben eines Einzigen – oder ein langsamer, qualvoller Tod – im Tausche gegen so viele andere? Wie würde sie vor sich selber dastehen, wenn sie auf diese Weise ihre Pflichten gegenüber ihren Vasallen vergaß?
Und doch: Dachte sie an all das, was Armand für sie alle getan hatte, und was er ihr bedeutete – wie konnte sie ihn Folter und Tod überantworten, ungeachtet dessen, was er verbrochen hatte? Und tat sie es doch, dann würde sie bis ans Ende ihrer Tage von Gewissensbissen heimgesucht werden … genau so, wie ihn seinerseits die eigenen Schuldgefühle schier aufgefressen hatten.
Die Finger gegen die Schläfen gepresst, sank sie neben dem Abt auf die Knie. "Ich bitte Euch, ehrwürdiger Vater! Zwar weiß ich, was ich tun muss, doch … seht Ihr denn gar keinen anderen Ausweg? Ihr seid doch ein weiser Mann! Armand vertraut Euch! Könnt Ihr mir nicht einen Rat geben?"
Der Abt öffnete die Augen und sah sie mit liebevollem Wohlwollen an. "Der einzige Ratschlag, den ich zu geben habe, wird einer praktisch veranlagten Frau wie dir, mein Kind, nicht unbedingt zusagen. Er lautet, weiseren Ratschluss als den meinen zu suchen – im Gebete nämlich."
"Wie aber soll ich mir sicher sein, dass Gott mich erhört? Die Geschehnisse der jüngsten Zeit lassen mich fast vermuten, dass er taub geworden ist!"
Abwehrend schüttelte der Abt das Haupt. "Vieles von den besagten Ereignissen konnte nur deshalb geschehen, weil die Menschen ihre Ohren gegenüber dem Himmel verschließen. Mag sein, dass der Herrgott uns nicht immer die erhoffte Antwort auf die gewünschte Weise zukommen lässt. Doch wenn wir gläubig lauschen und ihm dorthin folgen, wohin seine Antwort uns leitet, so wird sich alles zum Guten wenden."
Bringst du diesen Glauben auf? Vor der Antwort auf diese Frage schreckte Dominie zurück. Freilich, sie besuchte getreulich den Gottesdienst, fastete an Feiertagen, verteilte Almosen an die Armen und hielt sich an die Zehn Gebote – meistens zumindest. Ihr nüchternes Naturell indes machte es ihr nicht leicht, an ein höheres Wesen zu glauben, welches man weder sehen noch hören noch anfassen konnte, und dem sie daher erst recht nicht die Lenkung ihres Lebens anzuvertrauen gedachte.
Nun indes war sie dermaßen verzweifelt, dass ihr nahezu alles und jedes recht gewesen wäre – ein Zustand, welcher bestimmt den Allmächtigen empören würde, falls er sich überhaupt herabließ, sie anzuhören.
Mit einem auswendig hergeleierten Ave Maria oder einem Vaterunser war es gewiss nicht getan. Also klaubte Dominie sich umständlich
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