Süßer Zauber der Sinnlichkeit
nur ein kurzer Augenblick, ehe die überraschten Bogenschützen ihr Ziel erkennen und ihn auf ewig zum Schweigen bringen konnten. Für den Fall, dass ein Pfeil ihn entgegen seinen Hoffnungen nicht auf der Stelle tötete, musste er Dominie dazu bringen, ihn so sehr zu hassen, dass sie ihn selbst St. Maurs grausamster Folter ausgeliefert hätte.
"Ich habe deinen Vater getötet!" brüllte er aus Leibeskräften. "Bei Lincoln! Da habe ich ihn erschlagen!"
Schon hörte er hinter sich das Hämmern von Hufen, doch achtete er nicht darauf, sondern empfahl mit lauter Stimme dem Allmächtigen seine sündige Seele. Jahrelang hatte er die Wahrheit in seinem Herzen eingeschlossen. Obgleich es den Tod oder gar Schlimmeres bedeutete, ließ er nun diesen Dämon frei, der ihn von innen her schier aufgefressen hatte. Ein wundersames, wildes Hochgefühl ergriff von ihm Besitz, bis plötzlich etwas in seinem Schädel zerbarst gleich einem weißglühenden Ball und er bloß noch ein allerletztes Stoßgebet gen Himmel schicken konnte. Ein Flehen um einen schnellen Tod.
19. Kapitel
Gelähmt vor Grauen schaute Dominie zu, wie ein schneller Reiter aus St. Maurs Meute zum Flüchtenden aufschloss und den Schwertknauf auf Armands Hinterkopf niedersausen ließ. Ihr selber war dabei, als träfen Armands Worte sie mit derselben Wucht.
Die Gesetzlosen formierten sich neu und ritten ein Stück davon, den bewusstlosen Armand auf seinem Reittier mitführend. Dann machte Eudo St. Maur noch einmal kehrt und schrie: "Achte nicht auf sein hohles Getobe! Der edelmütige Narr wollte allein seinen Wert als Geisel schmälern! Könntest du einen Mann verlassen, der ein solches für dich tut?" Seine Frage triefte vor widerlichem Hohn.
"Sollen wir ihnen nachsetzen, Herrin?" rief Wat FitzJohn.
Am liebsten hätte Dominie sich die Ohren zugehalten und alle Welt angefleht, sie in Ruhe zu lassen, um all das zu begreifen, was sie soeben hatte miterleben müssen. Doch es mussten Entscheidungen gefällt werden, zumal schwierige obendrein. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, diese nicht auf die lange Bank zu schieben.
"Nein!" Es war das Schwerste, was sie sich je hatte abringen müssen. "Ihr seid nicht genug an der Zahl. Es wäre nicht wie bei Harrowby, denn sie sind trefflich gerüstet und inzwischen auch auf der Hut. Sie würden Lord Flambard töten und dazu noch wer weiß wie viele andere."
Der Zwang zur Entscheidung, und sei sie auch noch so bedrückend, rüttelte sie auf aus der Verzweiflungsstarre, welche sie zu überwältigen drohte.
"Prüft sofort unsere Verteidigungsvorkehrungen!" befahl sie. "Wenngleich ich bezweifle, dass St. Maur sich in offener Feldschlacht das holt, was er durch Arglist und Tücke einheimsen kann. Falls ihr mich sucht – ich befinde mich in der Burgkapelle."
Sie brauchte einen abgeschiedenen Ort, um in sich gehen zu können. Ja, vielleicht konnte sie gar zu beten versuchen, obschon sie wie nie zuvor davon überzeugt war, dass Gott und die himmlischen Heerscharen tief und fest schliefen. So war es dann auch die kleine Kapelle, in der sie schließlich von Abt Wilfrid sowie Prior Gerard aufgefunden wurde.
"Mein Kind!" Der Abt umfasste ihre eiskalten Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Obwohl der weise, gefasste Geistliche sie wenig an ihren eigenen ungestümen, kraftstrotzenden Vater erinnerte, so strahlte er doch eine Art väterliches Mitgefühl aus, deren wohliger Wärme sie sich gern überließ.
Der Abt schüttelte den Kopf. "Es betrübt mich über alle Maßen, dass meine Brüder und ich zu Werkzeugen des Unheils gerieten, welches dich mit dem heutigen Tage überfiel."
"Es ist nicht Eure Schuld, ehrwürdiger Vater Abt! Wäret Ihr nicht gewesen, so hätte St. Maur eine andere List erfunden, um Armand aus der Deckung zu zwingen." Sie presste die Finger an die Schläfen. "St. Maur hatte doch Recht, nicht wahr? Bezüglich dessen, was Armand da vorhin sagte? Dass er meinen Vater erschlagen haben will, das war doch gewiss nur eine Schutzbehauptung – wohl in der Annahme, etwas Schlimmeres gebe es nicht, um mich zu veranlassen, ihn aufzugeben!"
Sie suchte nach einem Anzeichen von Bestätigung im Gesicht des Abtes. Als sie dies nicht entdecken konnte, wandte sie sich Hilfe suchend an seinen Stellvertreter, den Prior und Armands Beichtvater.
"Niemals zuvor habe ich je das Beichtgeheimnis gebrochen, mein Kind." Das Brennen in seinen Augen verriet, wie schwer es ihm fiel. "In diesem Falle jedoch bin ich der
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