Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Missgunst. Ihr müsst ihn aus Landshut verjagen, Vater. Sonst erzählt er das noch der ganzen Stadt.«
Der Herzog zog seine Tochter zu sich hoch und streichelte zärtlich ihre Hand.
»Mein Kind, beruhige dich. Ich glaube nicht an die Trunkenheit von Doktor Widmannstetter, oder dass sie ihn in die Löwengrube geführt hätte. Diese zwei Männer begehren dich, deine Schönheit und deine Tugend. Dafür sind sie nicht zu verdammen. Den einen machst du glücklich, den anderen unglücklich. Deswegen geraten sie jetzt aneinander. Das hört auf, sobald wir die Verlobung gefeiert haben.«
Anna Lucretia schüttelte wild den Kopf.
»Aber Vater, einer von ihnen muss ein Lügner und ein Schuft sein. Das ist entsetzlich, mehr noch für sie als für mich.«
»Nein, das muss nicht sein. Und wie ich die beiden kenne, kann es nicht sein. Beide haben es gut bei mir. Sie haben das Unglück, dieselbe Jungfrau zu begehren. Das erhitzt gefährlich ihre Köpfe. Bei dieser unerwarteten Begegnung am Katharinentag hat jeder von dem anderen das Schlimmste erwartet und gemeint, es zu erleben. Morgen bestimmen wir den endgültigen Tag für dein Verlobungsfest. Dann ist alles vergessen.«
Anna Lucretias Gesicht hellte sich auf, doch Sabina und Weißenfelder tauschten zweifelnde Blicke.
»Lieber Bruder, ich neige dazu, Euch recht zu geben. Trotzdem erscheint es mir dringend, aufzuklären, was Doktor Widmannstetter geschah. Waren es weder Trunkenheit noch die Heimtücke des Baumeisters, so bleibt nur ein schandhaftes Verbrechen übrig. Es muss eine äußerst dunkle Angelegenheit dahinter stecken.«
Bevor Sabina weiterreden konnte, pochte es an der Tür. Der Wachmann trat ein und eilte zum Herzog.
»Hoheit, der Küchenmeister bittet darum, sofort vorgelassen zu werden.«
Schon stand ein äußerst aufgebrachter Joris Kärgl im Raum. Der sonst so penibel bedachte Mann rang um Fassung.
»Hoheit, Doktor Weißenfelder, kommt schnell. Wir haben einen Toten in der Küche.«
»Und deswegen störst du uns? Das ist doch nicht die erste Messerstecherei. Schreib einen Bericht und komm erst wieder, wenn ein Urteil zu fällen ist.«
Kärgl sah seinen unwirschen Herrn hilflos an.
»Das kann ich nicht, Hoheit. Der Tote ist mir völlig unbekannt. Er ist erst vor kurzer Zeit als Bote des Herzogs von Württemberg angekommen. Ich hatte angeordnet, er solle sich in der Küche stärken, bevor die Herzogin ihn empfangen konnte.«
»Ein Bote aus Württemberg!« Sabina erbleichte. »Jesus Maria! Warum ist er nicht sofort zu mir gebracht worden?«
Der Küchenmeister wusste nicht mehr ein noch aus.
»Wegen Eurer wichtigen Besprechung, Ihro Durchlaucht. Außerdem war der Mann todmüde. Er musste etwas ruhen.«
Die Herzogin hörte ihm nicht mehr zu, sondern verließ in großer Hast mit Anna Lucretia den Raum. Weißenfelder begleitete Herzog Ludwig, der wegen seines Bauchumfanges und seiner schlechten Beine von ihm und einem Kammerdiener gestützt wurde. Den Burghof füllte auf einmal bis zur letzten Ecke das hocherregte Gesinde aus sämtlichen Wirtschaftsgebäuden im äußeren Burgbereich. Wie Ameisen kletterten sie überall hin, wo sie sich bessere Sicht erhofften: auf das Schlosspflegerhaus, auf die Zisternen, auf den Torbogen, auf das Dach und die Eisenträger des Brunnenhäuschens. Es roch streng nach den hart Arbeitenden. Stall- und Schmiedegerüche, Pferdemist, Maurerschweiß, Schlachtabfälle, Fischbecken und Waschhaus, Bierkessel und Weinfässer, alles mischte sich auf engstem Raum und stieg beißend in die fürstlichen Nasen. Bei jedem Schritt ihrer Herren und Herrinnen teilte sich die Menge wie ein schmutziges Rotes Meer.
Endlich gelangten auch Herzog Ludwig und Weißenfelder in die Küche. Dort war alles im Augenblick der fleißigsten Betriebsamkeit erstarrt. Die Feuerstellen glühten, die Kessel dampften, mancher Fisch zappelte noch um sein Leben, während dicke Aale sich davonstahlen. Kein Mensch aber rührte sich, alle sahen gebannt zur Kellertreppe, wo der unbekannte Tote mit dem Kopf nach unten auf dem Rücken lag. Grenzenlose Überraschung schien sich auf seinem Gesicht abzuzeichnen. Der Mann war jung und sah gesund aus. Er trug Reisekleidung: eng anliegende Lederhosen, Stiefel, einen knielangen Kittel aus grob gewalkter Wolle, einen breiten Gürtel mit einem Messer sowie einen Schulterumhang mit Kapuze aus grünem, dicken Filz. Kärgl zeigte auf einen Schemel zwischen den Pastetenöfen und der kleinen Pastetenküche, neben dem noch ein spitz
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