Summer Westin: Todesruf (German Edition)
sie lieber gar nicht erst denken. Sie hoffte, jene vier Soldaten waren nicht umsonst gestorben.
Während sie von Forks zu dem neuen Teil des Parks fuhr, erkundigte sich Chase nach dem Feuer und nach Lisa Glass.
»Die Wagen lassen sich vermutlich nicht identifizieren?«, fragte er.
»Ich war fünf Meilen entfernt. Es war dunkel.« Ihr Mund schien weiterhin recht gut zu funktionieren, aber jetzt, wo die Wirkung des Lidocain allmählich nachließ, spürte sie die Bissmale auf ihrer Zunge und innen an ihrer Wange immer deutlicher. »Nach den Brandstiftern sind mindestens sechs Fahrzeuge die Straße rauf und runter gefahren, Reifenspuren können wir also vergessen.«
Sie warf ihm einen raschen Blick zu. Er hatte sich umgezogen und trug jetzt Jeans, Stiefel und ein Flanellhemd. Mit der lässigen Kleidung sah er nicht ganz so einschüchternd aus, und nicht ganz so kantig. Ob seine Waffe wohl in seinem Rucksack steckte oder eher in der Tasche seiner Jacke, die auf dem Rücksitz lag?
»Wie bist du auf das Feuer aufmerksam geworden?«
Sam schlug mit der Hand auf das Lenkrad. »Die Explosion! Die hatte ich ja völlig vergessen!«
Er horchte auf. »Welche Explosion?«
»Ein lauter Knall.«
»Wie der Urknall?«
Sie stöhnte ob seines Humors. »In dem Moment kam er mir ziemlich laut vor. Und als Nächstes brach das Feuer aus.«
Er überlegte einen Moment. »Könnte es sich um einen Molotow-Cocktail gehandelt haben?«
Sie wusste nicht genau, was ein Molotow-Cocktail war. »Explodieren die?«
Er zuckte mit den Schultern. »Häufig.«
»Dann könnte es einer gewesen sein. Oder es war ein Feuerwerkskörper. Klang jedenfalls ganz schön wuchtig.« Plötzlich kam ihr ein Verdacht. »Raider!« Sie packte das Lenkrad mit beiden Händen und trat das Gaspedal kräftiger durch.
Chase stützte sich mit einer Hand am Armaturenbrett ab. »Wie bitte?«
Sam bretterte ungebremst in ein Schlagloch. Obwohl sie kräftig durchgerüttelt wurden, verringerte sie die Geschwindigkeit nicht. »Es könnte auch ein Präzisionsgewehr gewesen sein. Vielleicht waren die Schweine hinter meinem Bären her.«
4
Bei Tag, ohne die bedrohliche Majestät eines Feuers im Mondlicht, wirkte das verbrannte Gebiet klein und armselig. Die Kronen vieler geschwärzter Bäume waren noch grün, aber ihre verbrannten Stämme standen da wie traurige Skelette. Vögel flatterten in den nackten Ästen herum und erkundeten die ungewohnte Platzfülle ihres Walds. Sam beobachtete, wie ein Kupferspecht an einer versengten Pinie emporflog. Mit seinen rostbraunen Federn hob er sich gut von der verbrannten Rinde ab. Der Vogel krallte sich in den Stamm und legte den Kopf auf die Seite. Dadurch wurde die rote Farbenpracht unter seinem Schnabel sichtbar, die ihn eindeutig als Männchen kennzeichnete. Er stieß einen Ruflaut aus und begann dann, stakkatoartig auf den geschwärzten Stamm einzuhacken. Ein schwarzweißer Haarspecht landete direkt oberhalb des Kupferspechts. Ein lauter Zank entbrannte, als der zuerst Anwesende seine Jagdgründe verteidigte.
»Arme Vögel«, murmelte Sam. »Ich hoffe, sie hatten ihre Nester außerhalb des Brandgebiets.«
Der Blick, den Chase ihr zuwarf, verriet deutlich, dass seine Gedanken nicht in erster Linie den Vögeln galten. Auch ihre hätten vermutlich auf andere Probleme gerichtet sein sollen, wie zum Beispiel auf Brandstiftung und ein bewusstloses Mädchen. Und auf Bären. Nach einer schlaflosen Nacht war ihr Denken ein wenig verlangsamt. Am Rand des Brandgebiets blieb sie stehen und ließ die Finger über eine Stelle gleiten, wo an einem Riesenlebensbaum ein Stück Rinde fehlte.
»Suchst du nach Spechtlöchern?«
Sie schüttelte den Kopf, bereute es aber sofort. Der Schmerz war so heftig, dass ihr übel wurde. Vielleicht hatte sie wirklich eine Gehirnerschütterung. »Ich suche nach frischen Bärenmarkierungen. Wir haben Raider vor einer Woche hierher gebracht.«
Chase zog eine Augenbraue nach oben. »Raider?«
»Ein zwei Jahre alter Schwarzbär, der meistens auf Picknicktischen hockte oder mit dem Hintern nach oben in Mülltonnen hing. In der Regel vor einem Publikum kreischender Camper. Hinter dem einen Ohr hat er eine weiße Narbe.«
»Wenn du es sagst.« Er drehte sie um, damit sie ihn ansah.
»Das hier ist ein Superlebensraum für Bären«, fuhr sie fort. »Wir hatten gehofft, er würde weibliche Bären faszinierender finden als Picknickreste.« Sie rieb sich über die Wange, weil sie wieder daran denken musste, was für
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