Sunshine Ranch 04 - Myriams letzte Chance
biss sich auf die Lippen. Wenn sie das Turnier im Juni gewonnen hätte, hätte sie ebenfalls ein eigenes Pferd bekommen, das hatte ihr Vater versprochen. Sie hatte sogar schon im Internet Westernpferde angeschaut, die zum Verkauf standen. Dabei hatte sie sich leidenschaftlich in eine Pintostute aus einem Gestüt im Schwarzwald verliebt. Coco. Manchmal träumte Myriam noch von ihr. Inzwischen war sie bestimmt längst verkauft worden.
Camilla stieß ein schrilles Wiehern aus und galoppierte ein paar Meter, dann blieb sie wieder stehen und äste weiter. Wahrscheinlich hatte sie eins der anderen Pferde bedrängt oder gar gebissen. Aber Myriam kam es so vor, als hätte die Stute gespürt, dass Myriam an Coco gedacht hatte und an ihre verpatzte Chance.
„Schönes Tier“, sagte April nachdenklich.
„Wer?“ Myriam folgte überrascht ihrem Blick. „Camilla?“
„Ja. Don’t you think? Was ist das für eine Rasse?“
„Freiberger.“
„She’s great.“
Myriam merkte, dass sie vor Freude über dieses Kompliment rot wurde. Dabei war es absolut lächerlich, Camilla gehörte ja Sue. Und außerdem wusste Myriam sehr gut, dass Camilla ein bisschen zu gedrungen und schwer war für ein Westernpferd.
„Ich find sie auch wirklich gut.“ Myriam wartete darauf, dass Tori etwas Spöttisches entgegnete. Deshalb hast du sie im Stich gelassen oder etwas in der Art, aber Tori lächelte nur.
„Macht ihr eigentlich Turniere hier?“, erkundigte sich April und bohrte damit, ohne es zu wissen, in Myriams Wunde.
„Du meinst, ob wir an Turnieren teilnehmen?“, fragte Hannah mit einem nervösen Seitenblick auf Myriam zurück.
„Nee. Ob auf der Ranch Turniere stattfinden.“
„Auf der Sunshine Ranch?“, fragte Tori entgeistert. „Natürlich nicht.“
„Warum denn nicht?“, meinte April. „Auf der Ranch in Santa Rosa, auf der ich bisher geritten bin, haben wir immer Turniere gemacht. It’s fun . Wir sollten eines organisieren, solange ich hier bin.“
Myriam starrte auf ihre Westernstiefel und hätte sich gerne in Luft aufgelöst. Nach dem Desaster im Sommer hatte sie sich geschworen, nie mehr ein Turnier zu reiten. Nicht weil sie nicht gut gewesen wäre. Aber diesen Druck, diese Nervenanspannung, vor allem aber den Neid und die Missgunst zwischen den Teilnehmern hatte sie als unerträglich empfunden. Am Ende hatte sie sich fast nicht wiedererkannt und beinahe ihre beste Freundin für immer verloren.
„I just love challenges“ , schwärmte April. „Wie sagt man challenges auf Deutsch?“
„Herausforderungen“, warf Myriam ein. Wie lange wollte April denn noch über dieses Thema reden?, fragte sie sich nervös.
„Was für eine Disziplin reitest du denn?“, warf Hannah ein, die offensichtlich das Gleiche dachte.
„Trail, Reining, Pleasure, Horsemanship, eigentlich alles. Aber am liebsten mach ich Freestyle.“
„Wow.“ Tori war beeindruckt. „Wir trainieren auf der Ranch nur Trail.“
„Ich weiß.“ April verzog das Gesicht. „Sue ist so boring. Langweilig. Sie findet Freestyle zu chaotisch. Dabei macht es am meisten Spaß.“
Freestyle. Myriam hatte nur eine unklare Vorstellung, was das genau bedeutete. Beim Trail ging es – wie im wahren Cowboyleben – hauptsächlich um Geschicklichkeitsübungen. Die Reiter mussten aus dem Sattel heraus Tore öffnen oder ihr Pferd über Holzbrücken und durch Stangengassen bewegen.
Pleasure wurde in Gruppen geritten, die Reiter wurden in Schritt, Trab, Galopp und Rückwärtsrichten geprüft. Und auch bei Horsemanship-Prüfungen kam es vor allem auf das perfekte Zusammenspiel zwischen Reiter und Pferd an.
Auf der Kingsize Ranch hatte Myriam auch Reining-Unterricht genommen. Die Mischung aus schnellen Galoppwechseln, spektakulären Sliding Stops und Spins auf der Vorder- und Hinterhand des Pferdes hatte ihr besonders viel Spaß gemacht. Sie wusste aber, dass Sue kein Reining-Fan war. „Wenn die Übungen nicht ganz exakt geritten werden, sind sie eine Quälerei für die Pferde“, sagte sie immer. „Bei den meisten Turniervorführungen wird einem richtig schlecht.“
„Freestyle-Turniere sind in Deutschland ganz selten“, sagte Tori jetzt. „Ich war mal mit meinen Eltern in den USA , da haben wir eines gesehen. Ich fand’s total beeindruckend. Aber ich hab nicht so richtig kapiert, was der Sinn des Ganzen war. Irgendwie hat jeder Reiter was anderes gemacht.“
„Das ist ja gerade das Gute beim Freestyle“, erklärte April. „Es ist wie Reining, aber
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