Surf
Rica ziehen wollten. Der Kellner eines Kieler Restaurants, ein eingeschworener Nordsee-Surfer namens Frank, hatte in Santa Cruz ein paar tolle Kalifornier kennen gelernt und den beiden freundlicherweise die Adresse mitgegeben. Jetzt, nach zweitägiger Reise, saßen die beiden bei mir auf der Couch.
«Wir kommen von Frank», sagte Thore, breitschultrig und jungenhaft, mit eifrigem Gesicht und kurzem blondem Haar. Wenn er den Mund hielt, konnte er als professioneller Surfer durchgehen, er hatte seine Rolle eindeutig gelernt. Mitch, kahl und gebaut wie ein Ringer, schien sich mehr als Thore für den Überfall zu genieren und sprach kaum Englisch. Thore sprach sogar noch weniger Englisch, was ihn aber nicht davon abhalten konnte, unumwunden klarzumachen: «Wir bleiben zum Surfen, okay?»
Überwältigend, aber – ausgerechnet – ich hatte Mitgefühl, obwohl ich noch nie von Frank oder dem Typ, bei dem er gewohnt hatte, gehört hatte. Immerhin war es wirklich eine tolle Vorstellung: Zwei gute Freunde fliegen um die halbe Welt, streifen durchs Hinterland, treffen kalifornische Mädchen, rauchen Gras und surfen sich das deutsche Hirn aus dem Kopf. Anschließend hängen sie dann noch ein Jahr in einem tropischen Paradies ab. Thore hatte sich zwar einen Monat vor dem Abflug unsterblich verliebt, aber seine Freundin war einverstanden gewesen, sich mit den beiden in Costa Rica zu treffen – eine Schönheit am Ende des Regenbogens. Es machte Spaß, mit ihnen Surfboards zu kaufen, und wieder einmal spielte ich den Einheimischen, der alles wusste, war der Kahuna: Ich hatte das Vergnügen, all die mysteriösen Einzelheiten über Brettformen zu übersetzen, und die Verkäufer in den Surf-Läden waren fassungslos über die Unverblümtheit unserer Nachforschungen. Das weckte gleich Sympathie für die ausländischen Burschen und bestätigte, dass wir im Herzen alle Amerikaner sind. «Klassisch», meinten die Einheimischen, wenn sie von dem Plan hörten. Und die Jungs drehten förmlich ab in den Läden, diesen Tempeln für ein Leben, das ihnen so ätherisch und unmöglich erschienen war wie Hollywood selbst: Boards aus echtem Balsaholz an den Wänden, radikal neue Designs, wahnsinnige Action-Videos, und das Beste von allem: Hier waren richtige Surfer, die Boards kauften, die entsprechenden Klamotten trugen, die Sprache sprachen. Wir suchten was Schönes aus, und die Jungs steckten alle Sticker und Abziehbilder ein, die die Läden entbehren konnten.
Wie sich herausstellte, war unser erstes Surfen am Point für Mitch das erste überhaupt: Er paddelte hinaus, stürzte von einer der seltenen guten Wellen, wurde durch die Mühle gedreht und ließ es dabei bewenden. Er setzte sich zitternd an Land, während Thore und ich uns an windgepeitschten kleinen Wellenkämmen versuchten. Es war unbeständig und fürchterlich kalt – niemand sonnte sich weit und breit und so war dies auch nicht gerade, was Thore sich vorgestellt hatte: Die Jungs im Wasser fragten, wie das Surfen in Deutschland sei, aber Thores Englisch reichte nur für: Ja, da gab es Wellen. Auf dem Weg zurück zum Wagen sah ich, dass sich die am Morgen noch fest eingerollten Mohnblumen geöffnet hatten und im Wind wogten. Sogar das Licht war an dem Abend anders, ein frühlingshafter, kein sommerlicher Sonnenuntergang, das erste lange Zwielicht, vor Pollen vibrierend, während das Abendrot noch etwas vor der Dunkelheit verweilte. Aber es war nicht das kalte Wasser, das die Jungs veranlasste, den Kauf des Busses aggressiv anzugehen; in einem sonderbaren Anflug von Nationalismus kam für sie nur ein VW-Bus in Frage. Zwei volle Tage hockten sie auf meiner Veranda in der Hoffnung auf den Traumbus: eine schmucke, leistungsfähige Maschine, Doppelbett, Kühlschrank und Herd. Aber Bus um Bus fiel durch: Costa Rica war weit entfernt, und fünfzehnhundert Dollar reichten nicht für ein zuverlässiges Auto.
So kamen eines Tages die beiden Deutschen, deren meine Mitbewohner wegen des schmutzigen Geschirrs bereits überdrüssig geworden waren, mit Flugtickets nach Costa Rica in die Küche marschiert. Santa Cruz hatte sich ohnehin nicht gerade als Vollzeit-Karneval für sie entpuppt; nur als ein Ort, an dem Leute wohnten, eine rausgeputzte Kleinstadt inmitten einer Flaute. Und plötzlich gab's wieder Hoffnung: El Dorado mochte weiter draußen warten. Am Tag nachdem sie fort waren, kam Brandung auf, und ich machte mich auf zum Point und dachte daran, wie einfach man als Reisender, wenn das
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