Surf
große Dünungen über die Bucht, brachen sich gewaltig an den Klippen und versprühten Gischt bis in zehn, zwölf Meter Höhe. Ich schaute auf die Straße, die ich blind hinuntergelaufen war, und sah den Strand, wo ich angespült worden war – das alles war jetzt so sehr ein Teil meines Lebens wie ein Bürgersteig für jeden anderen Menschen. Und die Katastrophe, an der ich vorbeigeschrammt war, schien bedeutungslos, nur eine Fehleinschätzung in meiner Freizeit; der Triumph, so es einen gab, lag darin, sich hier inzwischen zu Hause zu fühlen. Mein Blick folgte dem Vogel: Mir fiel auf, dass ich weder ihn noch irgendeinen anderen Raubvogel jemals draußen über dem Wasser gesehen hatte. Sie spähten das Gebüsch an den Klippen aus, ohne je einen Schlenker übers Meer zu machen, und ich konnte es ihnen nicht verdenken. Nicht im Geringsten.
FRÜHLING
Call me Queequeg…
Thomas Farber
On Water
Der Frühling passiert einfach – eines Tages siehst du hinaus, und der nieselnde, neblige Morgen, ein sicheres Anzeichen für den Jahreszeitenwechsel, ist von Nordwestwinden bestimmt, die den wellenlosen Ozean zu leuchtenden Schaumkronen aufwühlen. Die nächsten Monate über hältst du dir den Morgen frei und ergibst dich den nutzlosen, unsurfbaren Nachmittagen, und du bereitest dich auf das noch größere Elend des Sommers vor, wenn das Meer wochenlang glatt daliegen kann. Der von der Wärme im Landesinneren ans Land gezogene Morgennebel verflüchtigt sich; die Sicht kommt nun in Schüben, wenn über der Landzunge die Wolkenfetzen aufreißen. Wenn sich der Nebel zurückzieht, rollt die Wolkenmasse dick am Horizont entlang, und der Wind weht herab wie eine durchsichtige Wolke, ein breiter Bogen dunkelblauer Bewegung, der nach Süden drückt über ein blasseres Feld der Stille. Die Schaumkronen scheinen dann zusammen davonzueilen, als habe die Sonne sie alle gleichzeitig ausgekippt; man sieht sie oft kommen, sitzt in der glasigen Bucht, sieht, wie sich das Wasser draußen kräuselt, und weiß, dass man bald einpacken kann. Der Ozean ist jetzt viel, viel kälter als im Winter; die Winde fegen über die Oberfläche und wühlen eiskaltes Wasser vom Grund auf, während sie zugleich den Gräsern und Blumen kostbare Feuchtigkeit entziehen und die lange tote Zeit des Sommers einleiten. Und wie ich so auf der Klippe stand und all die Veränderungen betrachtete, musste ich daran denken, wie sehr wir uns durch das, was wir sehen, sagen lassen, in welcher Art von Welt wir leben; in dem Moment in einer schwindenden Üppigkeit aus Blüten und Samenkörnern und Spatzengezirp, das sich fast in der Luft verlor, die an dem Morgen weit entfernte nördliche Lungen durchlaufen hatte. Der Habicht schwang sich mit einem scharfen Aufwind empor über ein brachliegendes Feld. Wenn Kultur das Durcheinander von Ideen und Gefühlen ist, durch das wir die Welt verstehen, reagiert sie auch auf die Besonderheit der Welt: Gewiss hatte ich ziemlich klare Vorstellungen und Begriffe, um einen Ort rühmen zu können, aber auch der Ort selbst hatte sich dieser Begriffe bedient. Wir sind nicht gänzlich im Gefängnis der Sprache gefangen, und ein urbanes Raster reflektiert uns ganz anders als diese Küste; der Habicht liefert ein einzigartiges Argument für das, was ein gutes Leben ausmacht. Die wogenden Felder – in denen Siedler der Prärie die Bewegung des Meeres sahen – und sogar der aufgewirbelte Staub des Traktors und seine Abgase, die südwärts in den blassen Himmel abzogen, sagen etwas Bestimmtes über Zeit und Maß. Immerhin weht der Wind nicht über den Himmel, er ist der Himmel, der sich als Ganzes bewegt.
In der deutschen Stadt Kiel wussten Mitch und Thore nichts über die Surfsaison und die Windverhältnisse in Nordkalifornien: Drei Jahre lang hatten sie geplant, der Alten Welt den Rücken zu kehren, um in der Neuen Welt etwas Spaß zu haben, und wollten sich nicht von Kleinigkeiten abhalten lassen. Thore war Segelmacher und frisch von der Schule, er surfte ein bisschen bei sich an der Küste und schickte Mitch bei der Bundeswehr die Zeitschrift Surfer mit umkringelten Fotos von knackigen Tube-Ritten, Inselschönheiten in Tangas und den Zielorten ihrer Pilgerfahrt: Rincon, Malibu, Steamer Lane. Mitchs Wehrdienst verzögerte zwar alles, aber dann war er plötzlich doch damit durch. Sie flogen nach San Francisco, fuhren per Anhalter nach Santa Cruz, wo sie Boards und einen VW-Bus kaufen und dann surfend und campend weiter nach Costa
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