Surf
dampfen sah – das Licht fiel in die Nebelschwaden, die von seiner Rinde wie goldener Rauch aufstiegen. Jetzt, in der Mittagshitze, produzierte der Staub auf dem Weg einen ähnlichen Effekt und glitzerte in Streifen aus Sonnenlicht. Schließlich trat ich hinaus in das offene Hügelland, das mit verbranntem Sommergras bedeckt war und über das Schwaden von Wärme und Staub zogen – wer nicht im Westen der USA aufgewachsen ist (Twain interessierte sich nicht besonders für die hier lebenden Menschen), kann sich nur schwer daran gewöhnen. Nichts in der Typologie amerikanischer Orte und Regionen entspricht diesen flachen Hügeln ohne rote Scheunen oder Silos; es gibt hier nichts, das an eine ländliche Gegend erinnert. (Ich wuchs auf in der Annahme, dass die Abbildungen der Farmen in meinen Bilderbüchern europäische Bauernhöfe zeigten, da ich solche in Amerika noch nie gesehen hatte.) Und es ist schwierig, ein Land gut zu kennen, mit dem die eigene Kultur so wenige Berührungspunkte aufweist: kein Schnee, kaum Regen, das Land der Ohlone-Indianer und des Rotschwanzbussards … Wie soll man es nennen? Man kann ja wohl kaum die ganze Zeit an einem Ort namens «Der Westen» leben, außerdem brauchen diese trockenen Gegenden Raum, es sprießt dort nicht genug Grün, das die leeren Fluren zwischen Einkaufszentrum und bebauten Gebieten mit örtlicher Wildnis ausfüllen könnte. Ein Supermarkt mit Parkplatz kann durchaus ein ganzes Tal erdrücken und dessen mickrig grüne Flächen schrecklich einsam und verlassen aussehen lassen. Aber durch den freien Blick von den Hügeln über die blaue Bucht von Monterey weitete sich mein Bewusstsein ohne jede Angst und nahm die angenehm trockene Wärme und die schlichte Schönheit der Eiche auf einem Feld in sich auf.
Unten an meinem kleinen Strand breitete sich unter Schäfchenwolken die Abenddämmerung aus. Wie ein Kirchenfenster fing der Sand an seinen feuchtesten Stellen das Orange der Sonne ein. Ein kleiner Hund rannte kläffend an das ruhige Meer, sprang hinein, um ein Stöckchen zu holen, und lief dann zu einer Frau in Militärjacke. Ein besorgt dreinschauender Mann, ebenfalls im Parka, suchte den Sand mit einem Metalldetektor ab, blieb plötzlich stehen und hockte sich hin. Während die Frau und der Hund sich balgten und an einem Strang Seegras zerrten, erhellten etwas weiter nördlich die Lichter der Restaurants die Pier. Draußen auf dem chromblauen Meer, das inzwischen wirklich glatt, ganz ohne Brandung war, neigte sich ein einsames Segelboot im Abendwind, der vom Land her auffrischte. Doch später, als ich aus den offenen Fenstern meines Schlafzimmers blickte, begann es allmählich zu erwachen. Das obere Stockwerk des alten Redwood-Hauses schaukelte im Rhythmus der Bewegungen meiner Mitbewohnerin und ihres Freundes, zu dem sich noch das Bellen der Seelöwen hinzugesellte und die mit der Zeit immer lauter werdenden Wellen: erst nur ein leichtes Plätschern, dann ein ganz leises, hohl klingendes «Wumm».
Wenn ein Surfspot ein idyllischer Thoreau'scher Walden-See sein kann, eine stoffliche Entsprechung all dessen, was man auf der Welt als schön und geheimnisvoll empfindet, dann habe ich meinen durch jemanden entdeckt, der es dort draußen hasste. Skinny hieß mit richtigem Namen Warren Cohn und war 29, wurde aber seit der achten Klasse Skinny genannt, dem Jahr, von dem an er nicht mehr dünn war. Während der Schulzeit waren wir nicht befreundet gewesen, hatten aber zusammen ein Konzert von Grateful Dead besucht. Unser Geschichtslehrer hatte damals zwei Freikarten übrig und holte uns um acht Uhr morgens ab. Auf dem Weg zum Konzert auf den Grass Valley Fairgrounds fuhr Mr. Wells, angespannt und mit übermüdeten Augen, mit 75 Meilen die Stunde auf der Route 80, eine Flasche Mickey's Malt Liquor zwischen den Beinen, und hielt das Steuer mit den Ellbogen, während er sich eine Pfeife mit selbst gezogenem Kolumbianer ansteckte. Während ich auf dem Rücksitz saß und überlegte, was meine Eltern wohl denken würden (das war natürlich die Kehrseite einer typischen Siebziger-Jahre-Jugend in Berkeley), stopfte sich Skinny mit einem Haufen halluzinogener Pilze voll. Aber er hatte den Mund etwas zu voll genommen, denn nach den ersten Songs verließ er das Konzert und irrte allein zum Highway zurück. Mr. Wells, der glaubte, Skinny wäre ermordet oder entführt worden, flippte total aus, weil er nicht wusste, wie er sein Verschwinden der Schulleitung erklären sollte. Später
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