Surf
der Aufprall wie der eines Eisenbahnzuges anfühlte, nur dass Blut spritzt, wenn Metall auf Fleisch prallt. Mal lag ich reglos da, mal flog ich durch die Luft. Das Ganze hatte die unmenschliche Wucht eines über die Ufer tretenden Flusses oder einer Schneelawine. Meine Finger krallten sich in die billige Polyesterhaut meines Boards, während ich unter Wasser umhergeschleudert wurde, doch die Oberfläche kam mir diesmal ziemlich rasch wieder entgegen, ebenso der Strand. Die dritte Welle schwemmte mich dann mitten auf den Sand, einfach so.
Da hockte ich nun also auf Händen und Knien, rot im Gesicht und sabbernd. Eine Weile zitterte und würgte und kotzte ich, dann hyperventilierte ich noch eine längere Weile, bis ich schließlich nur noch dasaß und das Adrenalin allmählich absinken ließ, bis ich die leichte Übelkeit verspürte, die hinterher bleibt. Eine Stunde später ging ich tropfnass den stillen Schotterweg wieder hinauf, während die Kornweihe vermutlich ihre Jagd begonnen hatte und der Tau auf den Weidenbäumen im Sonnenschein verdampfte. Immer noch leicht schwindlig, mit flauem Gefühl im Bauch, verwirrt und ordentlich durchgedroschen, setzte ich mich auf die Heckklappe meines Pick-ups und versuchte, den Surfanzug abzustreifen. Dann spülte ich den kleinen Muffin mit dem letzten Schluck Kaffee hinunter und sah zu, wie ein Surfer nach dem anderen neben dem Highway anhielt, die Böschung hinaufkletterte, um die Wellen zu studieren, den Kopf schüttelte und wieder wegfuhr. Vermutlich dachte ich damals, dass die Jungs Angst hatten. Heute weiß ich, dass die Bedingungen einfach nicht gut waren: die Dünung zu unregelmäßig, die Strömung zu stark, die Wellen durcheinander, der Wind aus falscher Richtung.
Es verging über ein Jahr, bis ich wieder so hohe Brecher sah, aber da hatte ich meinen Job bereits gekündigt und war direkt ans Meer gezogen. Mein Bruch mit der Erwerbsarbeit vollzog sich ungefähr folgendermaßen: Gegen elf Uhr morgens, im Augenblick eines kurz bevorstehenden, von Koffein und persönlicher Angst ausgelösten Zusammenbruchs, mit schwitzigen Füßen, fettigem Haar und zunehmend asozialer Disposition, teilte ich dem stellvertretenden Geschäftsführer Sean, einem prima Typen, mit:
«Sean, ich gehe.»
«Zum Lunch?»
«Hm… eigentlich nicht.»
«Ach.»
«Ja.» Ich nickte bestätigend. «Das war's dann.»
«Hm.» Sean musterte mich eingehend, vielleicht sogar mitleidig, dann zuckte er die Achseln. «Na dann, tschüs?»
«Tschüs.»
In diesem Buch soll es aber nicht darum gehen, wie ich zurückkehrte, um die großen Wellen zu bezwingen – ohnehin ein sinnloses Unterfangen sondern um meine spontane Regung, die, wie ich fand, letzten freien Jahre meiner Jugend (ich habe keine Vorstellung von dem Eingesperrtsein, das danach kommt) zu nutzen und herauszufinden, ob ich tatsächlich am Meer leben konnte, wie ich es mir immer erträumt hatte. Und es geht um das, was dann folgte: meine Beschäftigung mit den tradierten Geschichten und kalifornischen Mythen, die mich hierher gebracht hatten, und meine stürmische Liebesaffäre mit der kalifornischen Küste. Am wichtigsten aber ist: Es geht um die Gründe, warum das Wellenreiten meine Daseinsform in der Welt wurde, eine Möglichkeit, nicht nur Gestalt und Temperament der Wellen, sondern auch das lebendige Wesen dieses großartigen Elements zu erfahren.
HERBST
The very longest swell in the ocean, I suspect,
carries the deepest memory…
A.R. Ammons
Swells
Wenn man kein Naturforscher, Farmer, Fischer oder Förster ist, dann braucht man ein Medium, ein Spiel, ein Lustprinzip, das das Wissen über die eigene Heimat zu einer leidenschaftlichen Wissenschaft macht. Städter wissen nichts über Nippfluten oder die Topographie von Riffen, und zwar aus demselben Grund, weshalb nur wenige Amerikaner eine Fremdsprache beherrschen: nicht etwa aus moralischer oder persönlicher Schwäche, sondern weil es nicht wichtig ist . Ich bin nicht an die Küste gezogen, um meinen «backside aerial attack» zu vervollkommnen (nicht einmal, um zu lernen, was zum Teufel ein «backside aerial attack» überhaupt ist ), sondern weil mein Bedürfnis, jeden Tag auf einem wirklichen, grundehrlichen Surfboard im klaren, lebendigen Wasser meines kalifornischen Pazifiks zu verbringen, seit meinem ersten Wellenritt eine Quelle nagender Angst geblieben war. Und Monterey Bay – eine große Delle in der kalifornischen Küste, etwa siebzig Meilen südlich der San
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