Survive
eine Planerin, wie ich bereits erwähnte, und wenn ich nicht genau weiß, was vor mir liegt, raste ich komplett aus. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich hier bin. Das Leben lässt sich unmöglich planen, daher raste ich ständig komplett aus. Eben ist noch alles gut, und in der nächsten Minute stirbt jemand oder wird krank oder ist nicht mehr dein Freund. Du kannst dich auf nichts und niemanden verlassen, was das Leben für eine Planerin wie mich schwer macht.
Das ist eigentlich das Beste an heute Nacht: Ich weiß genau, was vor mir liegt. Es zu planen und in seiner Endgültigkeit vorwegzunehmen ist das wirkungsvollste Beruhigungsmittel, das ich je genommen habe.
Wie mein Plan entstanden ist?
Es ist mir vor gut sechs Monaten in den Sinn gekommen. Eines Nachts habe ich geträumt, ich sei in einem Flugzeug und flöge auf die milchig blaue Schicht zu, die die Erdatmosphäre vom Weltraum trennt. Selbst aus dem Flugzeugfenster wirkte sie wie ein kleines Stückchen himmlisches Jenseits. Mein Ich im Traum hat gedacht: Dort muss Gott sein. Der Flug dauerte ewig, während wir immer näher auf den Weltraum zuschossen, unsere Atmosphäre dabei aber niemals wirklich verließen. Keine anderen Passagiere befanden sich an Bord des Flugzeugs. Es gab keine Flugbegleiter in der Kabine, und alle Ablagefächer für Gepäck waren aufgerissen und leer. Wiederholt ertönte die Stimme des Piloten und bat die Flugbegleiter, alles für die Landung vorzubereiten. Das Flugzeug flog höher und höher und begann zu vibrieren – nur ein wenig zunächst, dann immer stärker – , doch ich habe nicht geschrien, und ich hatte keine Angst. In dem Traum habe ich ständig meinen Sicherheitsgurt fester gezurrt, während ich jenen Horizont aus milchig blauem Himmel vor mir betrachtete, der knapp außerhalb meiner Reichweite lag. Ich fühlte mich sicher, wie damals als glückliches kleines Kind, bevor sich alles veränderte, bevor sich mein Vater das Leben nahm. Es war, als würde das Flugzeug einfach für immer so dahingleiten, und dann fiel es plötzlich in einer Abwärtsspirale zurück zur Erde, und ich versuchte zu schreien, aber es kam kein Laut aus meinem Mund. Direkt vor dem Aufprall wurde alles schwarz.
Ich erwachte atemlos und in kalten Schweiß gebadet, allein in meinem Zimmer, immer noch benebelt und benommen von den Beruhigungsmitteln. (Ich hätte vermutlich erwähnen sollen, dass ich am Tag vor meinem Traum einen weiteren »Zwischenfall« hatte und sie mich mit Medikamenten vollgepumpt hatten, damit ich schön friedlich blieb.) Es war, als hätte Gott oder irgendwer oder irgendetwas mir in diesem Traum eine Botschaft übermittelt: keine »Zwischenfälle« mehr. Im tiefsten Inneren wusste ich, dass der erste und der zweite »Zwischenfall« halbherzig gewesen waren; keine ernst zu nehmenden Versuche, meinen Schalter umzulegen. Das ist auch der Grund, warum ich mir von den Ärzten niemals habe das Gegenteil einreden lassen. Selbstmord verlangt echte, ernste Absichten, und meine Absichten waren nie echt. Beim ersten Mal wollte ich, dass meine Mutter mich mit dem Tranchiermesser fand, und ich wollte, dass sie weinte und mein Schicksal beklagte, so wie sie das Schicksal meines Vaters und meiner Großmutter beklagt hatte. Aber ich hatte nie vor, an diesem Tag zu sterben. Beim zweiten Mal, na ja, sagen wir einfach, ein paar vom Personal dürften über meine kläglichen Bemühungen ziemlich geschmunzelt haben. Aber morgen früh werden sie nicht lachen, und sie werden meinen Bemühungen eine gewisse Genialität nicht absprechen können.
Ich stamme aus einer Familie von Depressiven und Selbstmördern, beginnend mit meinem Urgroßvater, auf den erst meine Oma und dann mein Dad folgten. Zu der Zeit, als ich meinen ersten » Zwischenfall « erlitt, wünschte ich mir auch für mich jene Besonderheit, die ihr Leben annahm, nachdem sie sich umgebracht hatten, da nun alle endlos über ihre Kämpfe und ihr dramatisches Ende sprachen. Aber ich wusste damals nicht, ob ich den Mut haben würde, in ihre Fußstapfen zu treten. Meine beiden Probeläufe überzeugten mich, dass ich mutig genug dazu war. Nun brauchte ich nur einen Plan, der nicht zuließ, dass ich gerettet wurde.
Als ich aus meinem Traum erwachte, war mir klar: Ich hatte eine Lösung gefunden. Ich wusste genau, was ich tun musste, um Life House und meiner elenden, qualvollen Existenz zu entkommen.
Es war einfach, so einfach. Ich erinnere mich an das kleine Lächeln, das sich auf
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