Susan Andersen
Pinsel, Paletten und Farbtuben auszupacken. Sie dachte an das erste Mal, als sie das getan hatte, und lächelte. Als Miss Agnes vor einigen Jahren gehört hatte, dass die Stadt eine ehrenamtliche Kunstlehrerin suchte, hatte sie sofort Poppy vorgeschlagen. Damals war Poppy nicht gerade begeistert von der Idee gewesen. Mit siebenundzwanzig musste sie noch immer damit kämpfen, überhaupt auf eigenen Füßen zu stehen. Da blieb keine Zeit für eine ehrenamtliche Tätigkeit.
Doch dann hatte sie die Jugendlichen kennengelernt.
Auch sie selbst kam nicht gerade aus einer Familie, die in Geld schwamm. Poppy musste ihre Buchhaltung oft genug äußerst kreativ gestalten, um ihre verschiedenen Einkommensquellen auszudehnen. Aber zumindest war immer genug Geld da, um Malutensilien zu kaufen – eine Tatsache, die sie bis dahin für selbstverständlich gehalten hatte.
Erst beim Anblick der Teenager hatte sie kapiert, dass die Jugendlichen diesen Luxus nicht kannten. Zu erleben, wie die Kinder in kurzer Zeit aufblühten, hatte eine neue Leidenschaft in Poppy entfacht.
Tröpfchenweise kamen ihre Schüler herein. Die Kartonröhren, die sie ihnen zum Schutz der Bilder gegeben hatte, klemmten unter ihren Armen oder ragten aus ihren Rucksäcken.
Es war eine kleine Gruppe aus zwölf Jugendlichen, ausgewählt von Lehrern der drei Highschools, die die acht Jungen und vier Mädchen besuchten. Sie waren aufgrund ihres Talents und ihrer finanziellen Situation ausgewählt worden. Dies war Poppys dritte Klasse dieser Art. Sie unterrichtete die zwölf schon lange genug, sodass die Kids ihre bockige Phase hinter sich gelassen hatten und allmählich Spaß am Unterricht bekamen.
Schweigend ging sie von Schüler zu Schüler, um die Bilder zu betrachten, lobte, gab Tipps und beantwortete Fragen.
„Jo, Schlampe. Gib mal das Zinnoberrot rüber.“
„Wie hast du mich genannt, cabrón ?“
Poppy wirbelte herum. „Mr. Jackson. Ms. Suarez.“
Darnell Jackson, von dem sie genau wusste, dass er in das Mädchen verknallt war, das er beleidigte, zuckte kurz zusammen. Gleich darauf richtete er sich jedoch zu seiner vollen Größe von fast zwei Metern auf, um Poppy mit der Bockigkeit anzustarren, die sie gerade noch meinte hinter sich gebracht zu haben.
„Haben Sie gehört, wie er mich genannt hat, Ms. Carloway.“
Mit einer Hand in die Hüfte gestützt, den Kopf nach vorn geschoben und das Kinn angriffslustig in einem Ich-mach-dich-fertig-Winkel gehoben, stand Emilia Suarez da und starrte den Jungen an, der sie um mehrere Köpfe überragte.
„Ja, habe ich. Und ich schätze, was Sie daraufhin entgegnet haben, war auch nicht gerade die liebevolle Bezeichnung für einen guten Freund.“
Tatsache aber war, dass Emilia nur auf Darnell reagiert hatte. Darum wandte Poppy sich an den jungen Mann, der an seiner Staffelei neben dem zornigen Mädchen stand. Sie sah ihn direkt an und fragte sehr ruhig: „Wie lautet die oberste Benimmregel in dieser Klasse, Mr. Jackson?“
Sie sah, dass sein Stolz verlangte, weiterhin auf harter Junge zu machen. Das galt umso mehr, weil es im Raum ganz still geworden war und alle sich umgedreht hatten, um zu beobachten, was er tun würde. Doch Darnell war als Erster der zwölf der Verführung der Kunst erlegen. Er hatte sich als der talentierteste ihrer Schüler erwiesen. Außerdem hatte sie von Anfang an klargemacht, dass sie Unruhestifter nicht tolerierte. Und der Junge lebte bei seiner Großmutter, die ihm eingebläut hatte, Altere zu respektieren.
So sehr es Poppy auch gegen den Strich ging, sich als Teil der „älteren“ Bevölkerungsgruppe zu betrachten, die Teenager hier sahen sie mit Sicherheit so.
„Respektvoll miteinander umzugehen“, brummte er.
Schweigend sah sie ihn an.
Er senkte den Kopf, „’tchuldige, Emilia.“
„Du bist ein jämmerliches Exemplar von einem Mann“, knurrte Emilia, doch ihre Wangen färbten sich rot. Die anderen Mädchen bemerkten es nicht. Sie waren viel zu beschäftigt damit, ihrer Begeisterung darüber, dass einer der ihnen zahlenmäßig überlegenen Jungs zur Ordnung gerufen worden war, lautstark Ausdruck zu verleihen.
Was nicht schlecht ist, dachte Poppy. Sonst hätten sie Emilia mit Sicherheit unbarmherzig wegen ihres Errötens aufgezogen.
„Ladies“, sagte sie streng.
Umgehend wurden die Mädchen leiser, zwei von ihnen knallten allerdings mit ihren Hüften zusammen und klatschten sich ab.
Poppy unterdrückte ein Grinsen. Verdammt, sie liebte diese
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