Susanne Barden 06 - Heiter bis bewölkt
Amalie ohne Atempause fort. »Wie kommst du zu diesem Tuch?« Dabei deutete sie auf das Tuch mit den silbernen Glöckchen.
»Ich habe es geschenkt bekommen«, antwortete Karla.
»Aber das Muster ist doch ganz neu! Meine Mutter hat mir mein Tuch aus Paris geschickt. Sie hatte es dort auf der Modenschau von
Clarice gesehen.« Aus Amalies Stimme klang echter Kummer.
Karla lag jeder modische Ehrgeiz fern. Doch erinnerte sie sich, wie sie Susy später erzählte, an die Mädchen der Fenchley-Schule, die stets eifrig bemüht gewesen waren, nach der allerneuesten Mode gekleidet zu sein.
»Ich besitze das Tuch schon über ein Jahr«, sagte sie gleichmütig. »Meine Mutter ist mit Clarice befreundet. Clarice wollte eigentlich ein Kleid für mich entwerfen, nachdem Mutter sie gemalt hatte. Da Mutter dagegen war, hat sie dann dieses Tuch für mich gemacht. Später fragte sie mich, ob ich damit einverstanden sei, wenn sie noch ein paar zum Verkauf anfertigen ließe.«
Amalie war sprachlos.
»Ich finde das Tuch sehr schick«, sagte Howard.
»Es kann auf verschiedene Weise getragen werden«, erklärte Karla. »Clarice hat mir gezeigt, wie man es um den Kopf bindet, daß die Glöckchen richtig zur Geltung kommen. Ich will es dir gern gelegentlich zeigen, Amalie.«
»Danke! Das ist nicht notwendig. Komm, Derrick, wir wollen gehen. Das Licht in dieser Bude ist einfach scheußlich.« Ohne sich zu verabschieden, lief Amalie davon und zog den widerstrebenden Derrick hinter sich her.
»Was ist denn plötzlich in Amalie gefahren?« fragte Howard verwundert.
»Ich weiß nicht«, log Karla.
»Ach, laß sie laufen! Komm, wir wollen tanzen.« Er steckte ein Geldstück in den Musikautomaten.
Bill stieß Susy an. »Müssen wir noch länger hier sitzen?«
»Nein, jetzt können wir gehen. Der letzte Drachen ist erschlagen. Mach bloß nicht so ein überlegenes Gesicht! Du hast ebenso gespannt zugehört wie ich.«
Bill räusperte sich und stand auf.
Das war vor einer Woche gewesen, und nun war Karla schon so vertraut mit der Springdaler Jugend, als hätte sie ihr Leben lang hier gewohnt. Ein paar Nachmittage der Woche verbrachte sie bei den Bonneys; an anderen Tagen gingen alle zusammen schwimmen oder sie kamen, wie heute, zu Susy.
Susy genoß den Lärm um sie her. »Wie halten Sie das bloß aus?« sagte plötzlich eine Stimme neben ihr. Es war Mona Stuart.
»Was halte ich aus?«
Mona Stuart machte eine Armbewegung, die Bettina auf der
Schaukel, die Jungen auf dem Rasen, das lärmspeiende Haus und den Rasenmäher umfaßte.
»Ich weiß auch nicht«, antwortete Susy. »Man gewöhnt sich daran. Offen gesagt, ich liebe es.«
Die Malerin sah Susy bewundernd an. »Sie sind ein erstaunlicher Mensch, Frau Barry. Ist Karla hier?«
»Ja. Sie finden sie im Wohnzimmer.«
»Ob es ratsam ist, daß ich hineingehe? Ich möchte einmal sehen, was sie eigentlich so glücklich macht. Sie ist völlig verändert.«
»Sie wissen doch genau, was Karla glücklich macht.«
Mona Stuart lächelte. »Nun ja, den tieferen Grund kenne ich wohl. Aber ich möchte doch auch die äußeren Umstände kennenlernen, die zu ihrem Glück beitragen.«
»So kommen Sie bitte herein!«
Als sie sich der Wohnzimmertür näherten, wurde Mona Stuart jedoch ängstlich. »Was soll ich zu den jungen Leuten sagen?« fragte sie unruhig.
»Sagen Sie irgend etwas, was Ihnen gerade einfällt. Die Kinder sind alle sehr nett. Obwohl sie Lärm wie eine ganze Menagerie machen, beißen sie nicht.«
Susy öffnete die Tür. Karla, die neben Howard gesessen hatte, sprang auf. »Mutter, du kommst hierher?«
Howard stellte das Grammophon ab, und die jungen Leute starrten die Künstlerin ehrfurchtsvoll an.
»Dies ist Margret Bonney«, stellte Karla vor. »Und dies ist Dexter und —«
»Ach, macht nur weiter«, sagte Mona Stuart. »Ich wollte nur ein wenig zuhören.«
»Setzen Sie sich doch«, forderte Susy sie auf. »Ich werde ein paar Erfrischungen holen.«
Mona Stuart nahm in dem angebotenen Sessel Platz. Karla setzte sich ihr zu Füßen und lehnte sich etwas scheu aber stolz an ihre Knie. Howard, bestrebt, seine Beziehungen zu ihr zu festigen, kam näher und begann eine Unterhaltung mit der Künstlerin. Als Susy mit dem Tee ins Zimmer kam, hörte sie, wie er sagte: »Ich hab’ mal ein Buch über einen Maler gelesen. Er war wohl nicht ganz richtig im Kopf, denn er schnitt sich ein Ohr ab und schickte es einem Freund.«
»Keine Sorge!« erwiderte Mona Stuart. »Ich werde
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