Sushi Für Anfaenger
Marcus vorantreiben zu können. »Du sollst sexy aussehen«, bedrängte er sie. Er räkelte sich auf Ashlings Bett und sah ihr zu, wie sie die dritte und letzte Schicht Mascara auftrug.
»Das VERSUCHE ich!«, hörte sie sich ausrufen. Sie war eindeutig aufgeregter, als ihr bewusst war.
Was die Hoffnung mit ihr anstellte! Plötzlich meldete sich lautstark ihre Sehnsucht nach Liebe und Sicherheit und machte aus ihr ein nervöses Wrack. Manchmal - wie jetzt, zum Beispiel dachte sie, ob sie vielleicht zu viel fühlte. Ist das normal? Wahrscheinlich. Und wenn nicht? Na, sie hatte eben eine entbehrungsreiche Kindheit hinter sich, dachte sie trocken.
Also gut, richtig entbehrungsreich nicht. Aber sie hatte doch der Routine und der Normalität entbehrt. Nachdem ihre Mutter den ersten Anfall von Depressionen gehabt hatte, war in ihrer Familie nie wieder Normalität eingekehrt. Stattdessen entglitt ihnen das Leben, so wie sie es gekannt hatten. Für immer, obwohl sie das in dem Moment noch nicht wussten.
Komischerweise hatte Ashling es anfangs aufregend gefunden, dass die Mahlzeiten nicht mehr regelmäßig eingenommen wurden. Als sie mit einem Grasflecken auf ihrer Jacke nach Hause kam, war sie froh, dass keiner mit ihr schimpfte. Aber dann vergingen die Tage, und sie konnte nicht umhin zu bemerken, dass die Kleider, die sie morgens anzog, schmutzig waren. Jetzt war sie nicht mehr erleichtert, sondern verängstigt. Hier stimmt etwas nicht.
»Soll ich heute das anziehen?«, fragte sie und zeigte sich ihrer Mum in einem ungewaschenen Sommerkleid. Sieh mich an, sieh mich an!
Die toten Augen ihrer Mutter sahen sie aus einem vor Kummer ausdruckslosen Gesicht an. »Wenn du willst.«
Janet und Owen gingen auch nicht besser gekleidet. Und ihre Mum auch nicht. Früher hatte sie sich immer so hübsch angezogen, und jetzt bemerkte sie es nicht einmal, wenn sie auf der Straße ein Hemd mit Eiflecken trug.
In dem Sommer verbrachten sie viel Zeit im Park. Monica rief jeden Tag: »Ich halte es im Haus nicht aus«, und scheuchte sie ins Freie. Aber selbst im Park hörte sie selten auf zu weinen, und nie hatte sie ein Taschentuch dabei. Deswegen steckte sich Ashling, die es nicht richtig fand, dass ihre Mutter sich die Tränen mit dem Ärmel abwischte, ein Taschentuch in die Tasche ihrer Strickjacke, wenn sie fortgingen.
Wenn sie im Park ankamen, versuchte Ashling dafür zu sorgen, dass wenigstens Janet und Owen ihren Spaß hatten. Wenn sie um ein Eis bettelten, drängte Ashling darauf, dass sie es bekamen, denn sie fürchtete, es würde zu einem endgültigen Zusammenbruch kommen, falls die beiden anfingen zu weinen. Aber ihre Mutter hatte nie Geld dabei, deshalb nahm Ashling ihr eigenes rosa-braunes Plastikportemonnaie in Form eines Hundekopfes mit.
Im Lauf des Sommers entwickelte Monica eine weitere beängstigende Eigenart. Während sie teilnahmslos auf einer Bank saß, fing sie an, den Schorf von einer Wunde am Arm abzukratzen, und hörte erst damit auf, wenn es blutete. Darauf begann Ashling, einen kleinen Vorrat an Pflastern bei sich zu tragen.
Irgendetwas würde geschehen. Irgendjemand musste etwas bemerken, oder?
Sie fing an dafür zu beten, dass es ihrer Mutter wieder bessergehen würde und dass ihr Vater nicht mehr jeden Montag wegfahren und erst am Freitag wiederkommen würde. Als die Gebete nicht die gewünschte Wirkung hatten, heckte sie die verrücktesten Ideen aus und beschloss, dass sich die Dinge zum Guten wenden würden, wenn sie auf der Toilette dreimal spülte. Dann kam sie auf die Idee, dass sie jedesmal, wenn sie die Treppe herunterkam, am Treppenabsatz eine Umdrehung machen musste. Sie musste es tun. Und wenn sie es vergaß, musste sie noch einmal nach oben gehen und das Ritual wiederholen.
Aberglaube bekam für sie eine große Bedeutung. Wenn sie eine Elster sah - sie bedeutete Kummer -, suchte sie den Himmel ängstlich nach einer zweiten ab - die Freude bedeutete. Eines Tages nahm sie eine Handvoll Salz und warf sie über die linke Schulter, um weitere Tränen zu verhindern. Das Salz landete im Pudding, und ihre Mutter sah mit ausdrucksloser Miene zu, wie die Salzkörner in die Puddingmasse sanken, dann legte sie den Kopf auf den Tisch und weinte. Alles blieb beim Alten.
Teds laute Stimme holte sie wieder in die Gegenwart. »Ashling, sprich mit mir! Was sagen die Tarot-Karten über heute Abend aus?«
Sie schüttelte die Erinnerungen ab und war sehr, sehr froh, dass es jetzt war und nicht damals. »Gar
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