Sushi Für Anfaenger
unangekündigten Hausbesuche abstattete! Sie blieb vor dem Spiegel stehen und prüfte, ob sie sich so zeigen konnte; sie rieb sich die Mascara unter dem Auge weg, strich sich über die Haare und eilte zur Tür.
Auf der Stufe vor ihrer Tür stand ein kleiner Junge in einem T-Shirt von Manchester United und mit einer komplizierten Frisur, bei der der Schädel rasiert war und vorn ein langer Pony in die Augen fiel. All die kleinen Jungen in der Straße hatten die gleiche Frisur.
»Wie geht‘s dir, Lisa?«, fragte er mit erstaunlich lauter Stimme und lehnte sich selbstbewusst an den Türrahmen. »Was machst du so? Kommst du raus und spielst mit uns?«
»Spielen?«
»Wir brauchen einen Schiedsrichter.«
Hinter ihm traten andere Kinder ins Blickfeld. »Ja, Lisa«, drängten sie. »Komm doch raus!«
Sie wusste, es war absurd, aber sie fühlte sich geschmeichelt. Es tat gut, gebraucht zu werden. Sie verdrängte Erinnerungen an andere lange Wochenenden, an denen sie mit dem Helikopter nach Champneys oder erster Klasse nach Nizza geflogen war oder ein paar Tage in einem Fünf-Sterne-Hotel in Cornwall verbracht hatte, und holte sich eine Jacke. Den Rest des Sonntags saß sie auf den Stufen vor ihrem Haus und zählte die Punkte, während die Kinder auf der Straße auf ziemlich aggressive Art und Weise Tennis spielten.
Jack Devine hatte seine Mutter am Sonntagmorgen angerufen. »Ich komme heute Nachmittag vorbei«, sagte er. »Und ich möchte gern jemanden mitbringen. Geht das?«
Seine Mutter verschluckte sich fast vor Aufregung. »Jemand weibliches?«
»Jemand weibliches.«
Lulu Devine gab sich größte Mühe, die Frage nicht zu stellen, aber sie schaffte es nicht. »Kommst du mit Dee?«
»Nein, Ma«, seufzte Jack. »Nicht mit Dee.«
»Naja. Hast du sie mal wieder gesehen?« Einerseits vermisste Lulu die Frau, die ihren geliebten Sohn sitzengelassen hatte, und andererseits war sie ihr aus Gründen der Loyalität zu ihrem Sohn verhasst.
»Doch, ja«, sagte Jack. »Ich habe sie auf dem Parkplatz in der Drury Street gesehen. Sie lässt dich grüßen.«
»Wie geht es ihr?«
»Sie heiratet demnächst.«
Die ewige Hoffnung keimte auf. »Doch nicht etwa dich?«, hauchte Lulu.
»Nein.«
»Wie gemein.«
»Aber nein«, beruhigte Jack sie. Als er die Neuigkeit hörte, war er zwar nicht hellauf begeistert, aber andererseits auch nicht zutiefst betroffen gewesen. »Sie hatte Recht, dass sie mich nicht genommen hat. Wir hatten uns auseinandergelebt. Sie hat es eher gemerkt als ich.«
»Und das Mädchen, das du heute mitbringst?«
»Sie heißt Mai. Sie ist sehr nett, nur ein bisschen nervös.«
»Wir sind bestimmt nett zu ihr.«
In einem unauffälligen taillenlangen Jackett im Fünfziger-Jahre-Stil, das sie, eigentlich mehr aus Witz, in einem Oxfam-Geschäft gekauft hatte, und Sandalen mit nur siebeneinhalb Zentimeter hohen Absätzen saß Mai auf der Fahrt nach Raheny neben Jack.
»Meinst du, es macht ihnen was aus, dass ich halb Vietnamesin bin? Sind sie rassistisch?«
Jack schüttelte entsetzt den Kopf. »Kein bisschen.« Er legte seine Finger auf ihre Hand. »Mai, beruhige dich - es sind anständige Menschen.«
»Und sie sind beide Lehrer, hast du gesagt?«
»Sie sind pensioniert, aber sie waren Lehrer.«
Lulu und Geoffrey zogen das volle Programm ab - sie hießen Mai mit einem doppelhändigen Handschlag willkommen, räumten die Zeitungen vom Sofa, damit Mai sich setzen konnte, und zeigten ihr Fotos von Jack, als er ein kleiner Junge war.
»Er war so süß«, seufzte Lulu dahinschmelzend und zeigte Mai ein Bild von Jack als hübschem Vierjährigen an seinem ersten Schultag.
»Und sehen Sie mal hier!« Ein Farbfoto von einem staksigen Jack als Teenager, neben einem kleinen Tisch.
»Den Tisch habe ich gemacht«, erklärte Jack stolz.
»Er hat sehr geschickte Hände«, sagte Lulu vertraulich.
Ich weiß , dachte Mai und fragte sich eine schreckerfüllte Sekunde lang, ob sie es laut gesagt hatte.
Mais Nervosität zerstob angesichts der ihr entgegengebrachten Herzlichkeit, und alles ging gut, bis Mai ein Foto auf dem Kaminsims entdeckte. Es zeigte einen jüngeren, dünneren, weniger sorgenzerfurchten Jack, den Arm um ein großes, braunhaariges Mädchen gelegt, das aufrecht da stand und selbstbewusst lächelte. Lulu wurde es im gleichen Moment gewahr und fing Mais entsetzten Blick auf. Warum hatte sie es nicht versteckt?
»Wer ist deine Freundin da?«, fragte Mai Jack und empfand fast ein Vergnügen dabei, sich
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