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Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
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besaß die doppelte
Fläche des Gärtnerhauses. An ihren Wänden standen massive Bücherregale, denen
man bei genauem Hinsehen ansah, dass sie früher einmal eingebaut gewesen waren.
Der Raum war für das Wetter und seinen schattigen Standort ungewöhnlich hell.
Er war aus Glas, man befand sich im früheren Gewächshaus des Anwesens.
    Sein Betonboden war mit Teppichen fast ganz ausgelegt, es
gab eine Art-deco-Sitzgruppe, ein Stehpult, einen Schreibsekretär, einen
Schwedenofen mit zwei bequemen Sesseln aus abgewetztem Leder und eine fahrbare
Bibliotheksleiter aus Mahagoni. Ein paar Stehlampen sorgten für gutes Leselicht
in der Nacht und ein etwas schadhafter Kronleuchter für eine festliche
Atmosphäre.
    Im hinteren Teil des Gewächshauses stand ein schwarzer
Bechstein-Stutzflügel. Allmen war ein talentierter, aber etwas schludriger
Pianist, der früher für seine Gäste manchmal etwas Barmusik gespielt hatte.
Auch heute improvisierte er noch hie und da zu seiner eigenen Entspannung ein
wenig vor sich hin.
    Allmen setzte sich in einen der Lesesessel und holte den
Brief wieder hervor. Carlos rückte ein Beistelltischchen in Reichweite und
stellte den Sherry darauf.
    Der Umschlag trug das Wappen des Königreichs Marokko und
den Schriftzug von dessen Generalkonsulat. Er war mit Füllfeder adressiert. Allmen
riss ihn auf und nahm den Brief heraus.
    Mit der gleichen Füllfeder geschrieben stand da: »12455 - inkl. Zinsen. Letzte Frist Mittwoch!! Sonst...!!!«
    Gezeichnet: »H. Dörig«.
    Allmen spürte die kurze Beklemmung in der Brust, die bei
ihm von plötzlich auftauchenden, lange verdrängten Unannehmlichkeiten hervorgerufen
wurde. Er tauschte den Brief gegen den Sherry auf dem Beistelltischchen und
trank einen Schluck. Dörig hatte ihn richtig eingeschätzt. Allmen öffnete
tatsächlich aus Prinzip keine Briefe, in denen er etwas Unangenehmes vermutete.
Er bewahrte sich dadurch die Gelassenheit, die er in seiner Situation nötig
hatte.
    Den Trick mit dem Generalkonsulat von Marokko hätte er
dem grobschlächtigen Dörig nicht zugetraut. Wie kam so einer überhaupt an
dieses Briefpapier?
    Allmen nahm noch einen Schluck Sherry und versuchte, den
Gedanken an Dörig zu verdrängen. Der Mann war sein unangenehmster Gläubiger.
Aggressiv, vielleicht sogar gewalttätig. Ein Antiquitätengroßhändler aus dem
Oberland. Er hatte Scheunen voller Ware, die er an Detaillisten verkaufte,
vieles davon ohne Rechnung. Allmen kannte ihn von früher. Immer wieder
entdeckte er in Dörigs Durcheinander aus grobgezimmerten Bauernmöbeln,
verstaubtem Pferdegeschirr und wurmstichigen Spinnrädern schöne Sammelstücke.
In seiner Sammlerzeit war Allmen dort Stammkunde gewesen. Ein sehr beliebter,
denn es kam vor, dass er mehr bezahlte, als Dörig haben wollte. Nicht aus
Sympathie für ihn, sondern weil er nicht in den Verdacht kommen wollte, ein
Schnäppchenjäger zu sein. Allmen verachtete Schnäppchen. Sie waren unter
seiner Würde und sollten unter jedermanns Würde sein. Die Dinge sollten das
kosten, was sie wert waren, alles andere war schäbig.
    Dieser Haltung hatte er es zu verdanken, dass Dörig ihn
anschreiben ließ. Allmen hatte sich lange Zeit mit dem Verkauf einzelner Stücke
aus seiner Sammlung über Wasser gehalten. Als diese auf das - aus praktischen
oder sentimentalen Gründen - Unentbehrlichste zusammengeschmolzen war, hatte
er begonnen, Stücke günstig zu erwerben und mit Gewinn weiterzuverkaufen.
Inzwischen konnte er es sich nicht mehr leisten, Schnäppchen zu verachten, denn
Allmen konnte in seiner Situation nicht wählerisch sein. Zu seinen Lieferanten
gehörte auch Dörig, und bei diesem hatte sich nun ein Guthaben angehäuft.
Zweimal mahnte er ihn mündlich, und als Allmen nicht mehr bei ihm auftauchte,
wohl noch ein paarmal in nie geöffneten Briefen schriftlich. Und jetzt dieser
Drohbrief.
    Allmen leerte das Gläschen, legte den Kopf zurück und
starrte an die Decke. Der Nieselregen hatte sich zu einem beharrlichen
Landregen gesteigert, der als unruhiger Film über das Glasdach floss.
    An der Ecke eines Glasrahmens war die Fuge undicht. Er
würde Carlos darauf aufmerksam machen. Der würde dann die nasse Stelle am Boden
mit einem Klebeband markieren und später die lecke Fuge zukitten. Eine von
Carlos' vielen Pflichten.
    Jetzt rief er ihn zum Essen. Carlos bestand auf
Pünktlichkeit, denn Schlag zwei Uhr musste er wieder seiner bezahlten
Tätigkeit als Gärtner und Hauswart nachgehen.
    Während der ganzen

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