Suter, Martin
Polizei habe noch keine Spur. Aber das sage sie immer.
Er verzichtete auf die zweite Margarita, signierte
gewohnheitsmäßig die Rechnung, obwohl er die Taschen voller Geld hatte, und
begab sich ins Promenade zu einem frühen Abendessen.
Die Wildspezialkarte überflog er nur und legte sie
beiseite. Im Moment hatte er die Nase voll von Jägern. Er entschied sich für
Fisch. Etwas Leichtes, das ihn nicht wach hielt in dieser Nacht.
Kurz vor zehn ging er nochmals auf ein Gutenachtbier in
die um diese Zeit angenehm ruhige Goldenbar. Es war nicht einmal elf, als er im
Bett lag. Er las noch ein paar Seiten, löschte das Licht und ließ sich vom Föhn
in den Schlaf singen.
Der blasse Lichtstreifen an der Decke über der
Vorhangstange war noch nicht da, als Allmen erwachte. Sein Wecker zeigte kurz
nach halb sechs, viel zu früh für den Early Morning Tea. Trotzdem stand er auf.
Er musste wissen, ob die Medien im Fall der Libellenschalen etwas Neues zu
berichten hatten.
Er zog den Morgenmantel an und verließ das Schlafzimmer.
Es roch nach Kaffee und Toast, ungewöhnlich um diese Stunde. Carlos wünschte »muy
buenos dias, Don John« und bat ihn, schon mal im - wie er
es nannte - »Salon« Platz zu nehmen.
Dort war für das Frühstück gedeckt. Neben dem Teller lagen
Computerausdrucke. Carlos hatte die Online-Presse durchsucht und ausgedruckt,
was von Interesse war. Da war sie endlich, die Gewissheit, auf die Allmen so
sehnlich gewartet hatte:
In einen Fall von Kunstraub, der vor bald zehn Jahren
Aufsehen erregt hatte - bei einer Ausstellung von Werken von Emile Galle im
Sanktgallischen waren Exponate im Wert von mehreren Millionen Franken gestohlen
und einige weitere zerstört oder beschädigt worden -, war unerwartet Bewegung
gekommen. Ein Hauptverdächtiger war festgenommen und die fünf Werke, die
berühmten Libellenschalen, sichergestellt worden.
Die fünf! Terry hatte es nicht einmal geschafft, die vier
anderen in Sicherheit zu bringen!
Allmen sprang auf, stürzte sich auf den verdatterten
Carlos, der von der Tür aus Allmens Reaktion beobachtete, umarmte ihn und
küsste ihn auf beide Wangen.
Carlos wischte sich verlegen das Gesicht ab. »Hay mas, da ist
noch mehr.« Er deutete auf die Ausdrucke auf dem Tisch.
Die andere Meldung war eine Todesnachricht im Wirtschaftsteil.
Wie ein Sprecher der Hirt Holding gestern bekanntgab, war ihr ceo und Alleinaktionär Klaus Hirt an Herzversagen gestorben. Nachruf
folgt.
Es war Frühling geworden. Was Laub trug im alten
Baumbestand der Villa Schwarzacker, war von zartem Grün. Die Forsythien
schrien ihr Gelb in den blassblauen Himmel, der Flieder verbarg sein Lila still
im Blattwerk.
Es war Sonntag, Schuhputzritual. Allmen saß auf dem
hochgeschraubten Klavierstuhl seines neuen Bechstein, einen Fuß auf der
schwarzen Schuhputzkiste, und sah Carlos zu, nach all den Jahren immer noch
fasziniert von dessen Eleganz und Fingerfertigkeit.
Der Fall der Libellenschalen hatte großes Aufsehen
erregt. Nach und nach waren Details an die Öffentlichkeit gelangt:
Die Familie Werenbusch, Mitglied der nationalen
Hautevolee, war in finanzielle Schwierigkeiten geraten, die sie durch einen
Versicherungsbetrug behob. Sie besaß eine der international bedeutendsten
Sammlungen von Galle-Objekten, unter anderem die berühmten Libellenschalen im
Wert von mehreren Millionen Franken. Terry Werenbusch, ein Sohn des Hauses,
raubte diese, während sie als Leihgaben im Museum Langturm ausgestellt waren.
Mit der Versicherungssumme überbrückte die Familie ihren Engpass und fasste wieder
Fuß.
Die Sache kam nach fast zehn Jahren ans Tageslicht, weil
ein Besucher zufällig eine der Schalen in einer Vitrine im Zimmer des greisen
Familienoberhauptes erkannt und die Polizei informiert hatte.
Eine Hausdurchsuchung im Familiensitz brachte die vier
weiteren Libellen zum Vorschein. dna- Spuren,
die damals am Tatort gesichert worden waren, belasteten Terry Werenbusch so
schwer, dass er seither in Untersuchungshaft; saß. Diese wurde bis zur
Verhandlung verlängert, nachdem eine Pistole aus seinem Besitz, welche bei der
Durchsuchung gefunden wurde, zweifelsfrei als die Tatwaffe beim kürzlichen
Mord am Kunst- und Antiquitätenhändlerjack Tanner identifiziert werden konnte.
Die Polizei ging davon aus, dass es sich beim Opfer um einen Mitwisser handelte.
Allmen kam in den Genuss der Belohnung. Hochverdient, wie
er fand, da die Polizei nämlich auch auf die Spur des Mörders von Tanner durch
einen
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