Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Suter, Martin

Suter, Martin

Titel: Suter, Martin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Allmen und die Libellen
Vom Netzwerk:
Mahlzeit bediente er Allmen, obwohl ihn
dieser schon unzählige Male aufgefordert hatte, mit ihm gemeinsam am Tisch zu essen.
Carlos bestand darauf, das in der Küche zu tun.
    Nachdem er den Tisch abgeräumt und das Geschirr im
Spülbecken gestapelt hatte, hörte Allmen ihn die Treppe hinaufgehen. Kurz
darauf kam er in seiner Gärtnerkluft und einem Regenumhang wieder und fragte: »?Algo
mds, Don John?«
    »No, gracias, Carlos«, antwortete
Allmen.
    Carlos wünschte ihm einen glücklichen Nachmittag, ging
noch einmal in die Bibliothek und markierte die nasse Stelle am Boden, die Allmen
längst vergessen hatte.
     
    Am Nachmittag pflegte Allmen sich eine halbe Stunde
hinzulegen. Diese kleine Siesta erfrischte ihn nicht nur, sie machte ihm auch
jeden Tag das Privileg bewusst, Privatier zu sein. Zu schlafen, wenn der Rest
des Landes einer nützlichen Tätigkeit nachging, verschaffte ihm auch nach all
den Jahren ein Glücksgefühl, das er sonst nur vom Schulschwänzen her kannte.
Er nannte es »Lebenschwänzen«.
    Es gab nichts Köstlicheres, als die Vorhänge vor dem
Treiben da draußen zuzuziehen, in der Unterwäsche unter das kühle Federbett zu
schlüpfen und mit halbgeschlossenen Augen den fernen Geräuschen der Welt zu
lauschen. Um kurz darauf verwundert und belebt aus dem leichten Schlaf des
Nachmittags zu erwachen.
    Sein Schlafzimmer war fast ausgefüllt von einem
King-Size-Bett, einem Bücherregal für die Nachtlektüre und zwei
Kleiderschränken für den jeweils der Jahreszeit entsprechenden Teil seiner
Garderobe - den anderen bewahrte er ebenfalls in der Waschküche auf.
    Er lag im Bett, neben sich ein Taschenbuch für den
unwahrscheinlichen Fall, dass er nicht eindösen konnte. Der Regen trommelte
leise gegen das Fenster, sonst verhielt sich die Welt dort draußen still.
    Es gelang ihm nicht ganz, den Brief von Dörig aus seinem
Bewusstsein zu verdrängen. Nicht wegen der 12455 Franken, die würde er irgendwie auftreiben. Es war die
Qualität der Zahlungsaufforderung, die ihn beunruhigte.
    So schlecht Allmen mit Geld umgehen konnte, so gut
beherrschte er den Umgang mit Schulden. Das hatte er in seiner Zeit im
Charterhouse gelernt, der exklusiven Boarding School in Surrey, in die ihn sein
Vater auf eigenen Wunsch mit vierzehn geschickt hatte. Allmen wollte dem, wie
er es nannte, bäurischen, neureichen Mief seiner Familie entfliehen.
    Im Charterhouse gehörte der Umgang mit Schulden zum
inoffiziellen Teil der Ausbildung. Sie waren nichts Ehrenrühriges. Im
Gegenteil, es förderte die Reputation, welche zu haben. Die Schulordnung
limitierte aus pädagogischen Gründen das Taschengeld der Schüler, was zu einem
regen Geldleihverkehr führte. Man gab an mit seinen Schulden, bewunderte die,
die die höchsten hatten, stundete sie, stotterte sie ab, beglich sie aber stets
mit Eleganz und Nonchalance.
    Das hatte er auch in seinem späteren Leben so gehalten.
Von Anfang an hatten die Einkünfte aus seinem Erbe nicht für seinen wachsenden
Kapitalbedarf gereicht, und der Treuhänder seines verstorbenen Vaters hatte
bald entnervt das Handtuch geworfen. Auf ihn folgte eine Reihe selbstgewählter
Berater, deren Ratschläge nicht Allmens Einkünfte, sondern seinen Geldbedarf
in die Höhe trieben. Bald sah er sich gezwungen, seinen Lebensstandard und
seine Neuanschaffungen - neben der Villa Schwarzacker zählten Apartments in
Paris, London, New York, Rom und Barcelona dazu - dadurch zu finanzieren, dass
er sich von weniger spektakulären, aber solideren Vermögenswerten aus seines
Vaters Hinterlassenschaft trennte. Und als auch dieser Vorrat zur Neige ging,
finanzierte er sich durch - meist etwas überstürzte – Verkäufe ebendieser
Neuanschaffungen. Zuerst Immobilien, dann Möbel, dann Sammlerobjekte, dann nach
und nach die immer weniger werdenden Unentbehrlichkeiten seines früheren
Lebens. Und schließlich Objekte ähnlichen Ursprungs wie besagte Kangxi-Vase.
    Als reicher Mann war Allmen ein überaus großzügiger
Gläubiger gewesen. Und jetzt, in seiner Rolle als Schuldner, erwartete er die
gleiche Geduld und Großmut von seinen Gläubigern. Am Anfang war er darin nicht
enttäuscht worden, seine frühere Bonität hatte noch lange nachgewirkt. Er hatte
keine Schulden. Er hatte offene Posten, Ausstände, Saldi, Pendenzen. Gläubiger
und Schuldner begegneten sich mit dem Respekt, den jene sich zollen, die aufeinander
angewiesen sind.
    Deswegen stellte Dörigs Brief eine neue Dimension dar. Es
war der grobe und vulgäre

Weitere Kostenlose Bücher