Suter, Martin
sachdienlichen Hinweis von seiner Wenigkeit geführt worden war.
Die insgesamt neunhunderttausend Franken mochten auf den
ersten Blick als eine hohe Summe erscheinen. Aber nach Auszahlung der
Hunderttausend an Carlos - es war das vereinbarte Honorar für dessen Hilfe und
Idee gewesen, Terrys Privatbelohnung von vierhundert- auf fünfhunderttausend
zu erhöhen - und der Anschaffung des neuen Flügels waren es nur noch gut
sechshundertsechzigtausend gewesen.
Allmen hatte Carlos' Antippen der Sohlenspitze nicht
bemerkt, mit dem er ihn zum Fußwechsel aufforderte. Der wohl einzige noch
aktive guatemaltekische Schuhputzer mit hunderttausend Franken auf dem Konto
wiederholte das Zeichen mit schlecht verhohlener Gereiztheit. Solche Unaufmerksamkeiten
seiner Kunden brachten ihn aus dem Rhythmus und kosteten wertvolle Sekunden.
Einige dringende Reparaturen und Verbesserungen am
Gärtnerhaus und an der Bibliothek hatten ebenfalls am Kapital gezehrt. Auch der
Rückkauf einiger überstürzt verkaufter Prunkstücke aus seiner
Art-nouveau-Möbelsammlung war nicht ganz billig gewesen.
Kam dazu, dass er schuldenmäßig Tabula rasa gemacht
hatte. Alle Ausstände waren zurückbezahlt. Auch die der Gläubiger, die längst
nicht mehr damit gerechnet hatten. Das gab ihm nicht nur ein gutes Gefühl, es
war auch eine kühne Maßnahme zur Korrektur seines Images. Er war sicher, dass
sie lange anhalten würde, auch in - hoffentlich nie wiederkehrenden - Zeiten,
in denen er darauf angewiesen sein könnte.
Dann hatte er, der er so lange unter seiner Ortsgebundenheit
gelitten hatte, die eine oder andere Reise unternommen, die Beziehungen zu
seinem italienischen und seinem englischen Schneider aufgefrischt und bei
dieser Gelegenheit bei seinen Schuhmachern die kleine, durch die Brutalität des
unsäglichen Dörig nötig gewordene Korrektur am rechten Leisten vornehmen
lassen.
Das alles hatte ihn auf einen Saldo von etwas über
hunderttausend Franken gebracht, womit er auch noch eine ganze Weile
ausgekommen wäre, hätte ihn nicht das Heimweh nach Aspen gepackt. Je näher die
Festtage rückten, desto mächtiger war es geworden. Und eines Abends - er hatte
nach der Goldenbar noch auf einen Absacker im Blauen Heinrich vorbeigeschaut,
und in Colorado war es erst achtzehn Uhr - hatte er morgens um zwei im Little
Neil angerufen, wo er so manche Weihnachten verlebt hatte, und den Direktor
verlangt. Der erinnerte sich noch gut an ihn, und wie es der Zufall wollte,
war durch die kurzfristige Absage eines Stammgastes soeben eine Suite frei
geworden. Nicht eine der ganz großen, eine normale Executive, gerade richtig
für Allmen und Olivia Goodman, die er am zweiten Tag kennengelernt hatte, »and who
absolutely adored European aristocrats«.
Dieser Ausflug nach Aspen war das einzige, was er seit der
Libellensache der Kategorie »Eskapaden« zuordnete. Er hatte sie zwar genossen
und nie bereut, aber finanziell hatte sie ihn leider nahe an die Situation
gebracht, in der er sich davor befunden hatte. Nur mit dem Unterschied, dass
er noch nirgends in der Kreide stand und es um seine Kreditwürdigkeit bestens
bestellt war. Trotzdem ertappte er sich in letzter Zeit immer wieder dabei,
dass seine Gedanken möglichen Einkommensquellen nachhingen. Vielleicht sogar
regelmäßigen.
Carlos bat ihn gerade, ein weiteres Paar auf Hochglanz
polierte Schuhe gegen ein ungeputztes zu tauschen, als ihm die Idee kam:
»Carlos?«
Er sah nicht auf. »Que manda, Don John-«
»Ich denke gerade, es gibt bestimmt viele Dinge, für deren
Wiederbeschaffung Belohnungen ausgesetzt sind.«
»Como no, Don John.«
»Glauben Sie, es gibt Leute, die sich das zum Beruf
machen?«
»Como no. Es gibt ja auch Kopfgeldjäger, Don
John.«
»Stimmt. Wie sich die wohl nennen? Belohnungsjäger?
Sachdienliche Hinweiser? Wiederbeschaff er?«
»No tengo idea, Don
John, keine Ahnung.«
»Reward. Englisch heißt es Reward.
Rewardeer? Rewarder? Rewardeur?«
Allmen stellte sich eine Visitenkarte vor. Johann
Friedrich von Allmen. Zwölf Punkt Times mit Kapitälchen. Darunter, zwei Punkt
kleiner: International Inquiries. Sah gut aus.
Carlos tippte unter die Sohlenspitze. Allmen wechselte den
Fuß. Ein gut eingespieltes Team.
»Carlos?«
»Que manda, Don John?«
»Glauben Sie, das wäre ein Beruf für uns?«
Jetzt blickte Carlos zum ersten Mal von seiner Arbeit auf.
Er überlegte kurz und zuckte mit den Schultern.
»Como no, Don John.«
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