SWEET & SEXY: Hände auf meiner Haut
möchten unterhalten werden. Und haben ein Anrecht auf ein saftiges Programm.“
Es war halb eins, mir knurrte der Magen, und Godzilla schwafelte. King Kong schlich rückwärts vom Schlachtfeld – sprich: Ralph lehnte sich stumm in seinem Stuhl zurück, eindeutig die richtige Strategie. Meine Gedanken schweiften ab, ich war nicht mehr bei der Sache. Stattdessen ging ich alle Godzilla-Filme durch, die ich kannte – die guten wie die schlechten. Es war nicht so, dass mich das hier alles nichts anging, und es war auch nicht so, dass ich hier nichts lernen wollte. Aber das Geltungsbedürfnis meines Chefs – und der aufgeblasene Ton in diesen Redaktionssitzungen – widerte mich an. So sehr, dass ich mich anstrengen musste, die wenigen wichtigen Informationen aus dem Gesagten herauszufiltern.
Seit anderthalb Monaten war ich in Berlin Mitte stationiert, und seit anderthalb Monaten hatte ich Bauchschmerzen. Ich lebte in der ständigen Furcht, aus dem eitlen Subtext der endlosen Besprechungsrunden irgendwann die falschen Schlüsse zu ziehen. Einen Fehler zu machen. Würde dieser Schaumschläger nicht früher oder später merken, dass ich ihn für einen hielt? Würde ich meine viel versprechende Karriere wegen dieses Blödmanns verpatzen? Und vor allem: Wie lange würde ich seine schlecht kaschierten Annäherungsversuchen noch abwehren können, ohne von ihm gedisst zu werden?
„Sind Sie noch bei uns, Fräulein Eydschidschi?“
Ich schrak aus meinen Versagergedanken hoch. AGG. Das war mein neuer Spitzname. Unser Chefredakteur spielte auf das amerikanische Korrespondentenleben meiner Familie an, und fand das irre lustig.
„Bin ganz bei der Sache, Herr von Bassiwitz“, sagte ich. Viel zu leise. Hatte ich Bassiwitz gesagt? Verdammt.
„Entschuldigen Sie, dass ich ein wenig vom Thema abschweifen musste, aber nun wünsche ich mir die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Selbst die der Nachwuchskräfte, die aus ruhmreichen Journalistenfamilien stammen.“
Nun hatte ich die volle kollegiale Aufmerksamkeit. Ich filterte drei der mir entgegen schlagenden Gemütszustände heraus: Erstens: Verachtung. Chantalle, die das Loblied auf die Arbeiterklasse, aus der sie stammte, bei jeder unpassenden Gelegenheit sang, warf mir einen Du-glaubst-wohl-nur-weil-du-ein-höhere-Tochter-Leben-geführt-hast-kannst-du-dir-hier-einen-Lenz-machen-Blick zu. Zweitens: Genervtheit. Jan, der ältere Kollege, der den Sender mit aufgebaut hatte, sagte mir durch die Schlitze seiner zusammengekniffenen Augen: Was-hältst-du-Schmeißfliege-hier-den-Verkehr-auf. Drittens: Ich töte ihn für dich. Das kam von Ralph, der seine rechte Handkante demonstrativ an seinem Adamsapfel vorbeizog.
Ich versuchte, nicht allzu gedemütigt auszusehen.
Ich schwor, diesen Idioten zu zeigen, was ich drauf hatte. Bei erstbester Gelegenheit. Hier ging es endlich mal um mich, und ich musste sie vergessen machen, dass ich die Tochter von Hans-Peter Gutmann war. Ich würde ein journalistisches Masterpiece produzieren. Ich würde ihren Hohn, Spott und Argwohn mit dem ... sagen wir Grimme-Preis für Information und Kultur eiskalt lächelnd hinweg fegen. Dream on, baby.
„Es ist nämlich so“, und jetzt sprach Hendrik von Bassewitz betont leise, um die Aufmerksamkeit wieder in seine Richtung zu lenken, „dass in den Hinterzimmern unserer schönen Berliner Clubs gefickt wird, dass die Schwarte kracht.“
Hossa. Jetzt war es mucksmäuschenstill im Konferenzraum A.
„Ich sage nur Orgien . Das ist neu. Das ist aufregend. Das ist was für uns. Ich mach's kurz: Ich will, dass wir in so einen Schuppen reingehen und die heißeste Doku drehen, die das deutsche Fernsehen je gebracht hat.“
Schmuddel war sein Metier, das war mir schon aufgefallen.
„Aus vertrauenswürdigster Quelle“, fuhr er fort, „sind mir allein in Mitte drei neue Etablissements bekannt. Bevor Sie fragen, meinen Informanten muss ich schützen. Also, wer will das heißeste Eisen der Saison?“
Die Stimmen überschlugen sich. Endlich gab es ein konkretes Thema. Plötzlich war der Reportergeist erwacht. Ralph wollte, Chantalle wollte, Jan wollte. Ich wollte auch, traute mir so etwas aber noch nicht zu.
„Wir sprechen von Massenkopulation in großem Stil“, schmückte Bassewitz sein neues Lieblingsthema aus. „Ich will wissen, wer überhaupt in solche Läden geht. Wie amüsiert man sich dort genau? Was sagen die Nutten auf der O'burger dazu? Ist das das Ende des Berliner Gewerbes, wenn es sich jetzt
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