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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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damit, ›nur um das Gewehr‹?«
    »Schusswaffen entwickeln oft ein Eigenleben. Das alles ist passiert, weil ein Gewehr greifbar war. Sie haben gesagt, dass Sie nicht verstehen würden, warum Gracie das Gewehr mitgebracht hat. Dass es nicht der Vorstellung entspricht, die Sie von ihm haben. Dass es dumm war. Übertrieben. Unnötig. Schlecht fürs Geschäft.«
    »Genau.«
    »Er hat es mitgebracht, weil jemand, den er kannte, ein Gewehr hatte. Das Gewehr ist von britischen Soldaten erbeutet worden. Jemand hat es hierhergeschmuggelt. Das ist noch kein Waffenhandel. Das ist ein illegales Souvenir. Aber Gracie hat das Gewehr gesehen.
    Und dann hatte er das Gewehr. Und dann sind Dinge geschehen, weil das Gewehr da war. Aber derjenige, von dem er das Gewehr bekommen hat, möchte mit dieser Sache rein gar nichts zu tun haben.«
    Bigend starrte ihn an. »Erstaunlich«, sagte er nach einer Weile, »wie Sie das machen.«
    »Man muss wie ein Verbrecher denken«, sagte Milgrim.
    »Einmal mehr stehe ich in Ihrer Schuld.«
    In Winnies Schuld, dachte Milgrim, auch wenn Bigend das nicht wusste. Nachdem er von Hollis mehr erfahren hatte, hatte er Winnie getwittert und sie gefragt: »Wie haben Sie das gemacht?« Ihr Tweet der letzte, den er von ihr erhalten hatte, auch wenn er weiterhin regelmäßig nachschaute - hatte aus nur einem Wort bestanden: »Spitzendeckchen.«
    »Es geht um den Auftragsfluss, habe ich recht?« Eigentlich hatte Milgrim das gar nicht fragen wollen. Er hatte nicht einmal daran gedacht. Und trotzdem hatte er es ausgesprochen. Seine Therapeutin hatte ihm erklärt, dass Ideen in zwischenmenschlichen Beziehungen ein Eigenleben führten. Sich in gewissem Sinne verselbständigten.
    »Natürlich.«
    »Das war Chombos Aufgabe. Er sollte den Auftragsfluss finden.«
    »Das ist ihm eine Woche, bevor er entführt wurde, auch gelungen, aber ich hätte mit dem Ergebnis seiner Arbeit nichts anfangen können. Ohne ihn, meine ich.«
    »Und der Markt, das ganze Wechselspiel, ist nicht mehr real? Weil Sie die Zukunft kennen?«
    »Es ist nur ein sehr kleiner Teil der Zukunft. Ein winziger Schnipsel. Minuten.«
    »Wie viele?«
    Bigend ließ den Blick durch den leeren Salon schweifen. »17, im Moment.« »Genügt das?«
    »Sieben hätten völlig ausgereicht. Sieben Sekunden, in den meisten Fällen.«
    Fiona trug ein nahtloses Röhrenkleid aus glänzendem schwarzen Jersey. Sie hatte das Oberteil nach unten gerollt, sodass es über ihren Brüsten ein breites Band bildete und ihre Schultern entblößte. Ein Geschenk von ihrer Mutter, hatte sie gesagt, die es von einer Mitherausgeberin der französischen Vogue bekommen hatte. Milgrim wusste fast nichts über ihre Mutter, außer dass sie einmal mit Bigend liiert gewesen war, aber die Vorstellung, dass Freundinnen Eltern hatten, hatte ihm schon immer Angst eingejagt.
    Er trug sein Tweedjackett und seine Kordhose, die in der Reinigung gewesen waren, dazu jedoch ein Hemd von Hackett ohne überzählige Manschettenknöpfe.
    Im sogenannten Festsaal - eigentlich der Hauptspeisesaal - wurden Cocktails gereicht. An den Wänden hingen quasikonstruktivistische Wandgemälde von Ekranoplanen, die, so fand Milgrim jedenfalls, wie die »Flying Clipper« von Pan American Airways aus den i94oern aussahen, aber mit gestutzten Flügeln und diesem seltsamen Canard unterhalb des Triebwerks. Als er zusammen mit Fiona die Wendeltreppe hinabstieg, entdeckte er Aldous und den anderen Fahrer, die die versammelten Passagiere elegant überragten. Viele dieser Passagiere hatte Milgrim noch nie gesehen, da er und Fiona die meiste Zeit in ihrer Kabine verbrachten. Auch Rausch war anwesend, sein schwarzer Anzug zerknittert; seine Frisur erinnerte Milgrim an das Zeug, mit dem Chandra Ajay malträtiert hatte.
    Als sie das Deck erreichten, trat Aldous gerade an den Fuß der Treppe. »Hallo«, sagte Milgrim, der Aldous seit jener Nacht in der Londoner Innenstadt nicht mehr gesehen hatte. »Vielen Dank, dass Sie uns da rausgeholt haben. Ich hoffe, Sie haben nicht allzu viel Ärger bekommen.«
    »Bigend hat nachgeholfen«, sagte Aldous mit einem eleganten Schulterzucken, und Milgrim begriff sofort, dass er von Anwälten sprach. »Und unser Kurier«, sagte er zu Fiona und zwinkerte ihr zu.
    »Hallo, Aldous.« Sie lächelte, wandte sich dann um und begrüßte jemanden, den Milgrim nicht kannte.
    »Ich habe mich gefragt«, sagte Milgrim mit gesenkter Stimme, wobei er durch den Festsaal zu dem glänzenden Kopf des anderen Fahrers

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