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System Neustart

System Neustart

Titel: System Neustart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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darin bestand, möglichst unauffällig den Eingang im Auge zu behalten.
    »Guten Abend, Miss Henry.«
    »Guten Abend, Robert.«
    Hier unten hatten sich die Raumgestalter noch zurückgehalten, was allerdings nur hieß, dass sie dort, wo jeder es sehen konnte, nicht völlig ausgerastet waren. Am Empfang stand ein riesiger Mahagonischreibtisch mit kunstvollen Schnitzereien von Reben und Trauben, zwischen denen irgendetwas vage Pornographisches vor sich ging. Dahinter saß stets einer der Angestellten des Clubs, meist junge Männer, die oft eine Schildpattbrille trugen, wobei sie vermutete, dass diese aus echtem Schildkrötenpanzer gefertigt waren.
    Jenseits der liebenswert altmodischen Papierstapel wanden sich zwei symmetrisch angeordnete Marmortreppen in das nächste Stockwerk hinauf. Der erste Stock selbst, wie alles oberhalb des Foyers, war in zwei Reiche geteilt - das des vermutlich philanthropischen Mysteriums und das des Clubs. Von der Cabinet-Seite brandete Lärm die Wendeltreppe herunter; offenbar wurde dort viel getrunken. Gelächter und laute Gespräche hallten von dem nur teilweise durchscheinenden Stein zurück, der in den unterschiedlichsten Farbtönen marmoriert war - gealtertem Honig, Vaseline und Nikotin. Um die schadhaften Ränder der einzelnen Stufen zu reparieren, waren kleine Rechtecke aus weniger inspiriertem Material eingearbeitet worden, die blass und nüchtern wirkten; deshalb gab sie sich stets Mühe, nicht darauf zu treten.
    Ein junger Mann mit einem Schildpattgestell reichte ihr den Zimmerschlüssel, ohne dass sie danach gefragt hätte. »Vielen Dank.« »Sehr gerne, Miss Henry.«
    Jenseits des Torbogens war zu spüren, dass hier jemand bei der Raumaufteilung gezaudert hatte. Was wohl daran lag, dass die Zweiteilung des Gebäudes gewisse Schwierigkeiten in sich barg. Sie drückte auf einen abgewetzten, aber regelmäßig polierten Messingknopf, um den ältesten Fahrstuhl herbeizurufen, den sie jemals gesehen hatte, selbst in London. Er hatte die Größe eines kleinen, flachen Wandschranks, der breiter war als tief, und brauchte seine Zeit, um den langgezogenen Käfig aus schwarz emailliertem Stahl hinabzugleiten.
    Rechts von ihr stand im Dunkeln eine Vitrine mit präparierten Tieren, von einer Museumslampe aus der Zeit Edwards VII. erleuchtet. Überwiegend Wildgeflügel; ein Fasan, mehrere Wachteln und andere Vögel, die sie nicht benennen konnte, alle so arrangiert wie während der Überquerung eines Rasens aus verblichenem Billardfilz erstarrt. Alle sahen einigermaßen mitgenommen aus, wenn auch nicht mehr, als angesichts ihres mutmaßlichen Alters statthaft war. Hinter ihnen, menschengleich aufgerichtet und die Vorderbeine ausgestreckt wie ein Schlafwandler in einer Karikatur, lauerte ein mottenzerfressenes Frettchen. Seine Zähne, die ihr ungewöhnlich groß vorkamen, waren möglicherweise aus lackiertem Holz. Auf die Lippen war jedenfalls Farbe, wenn nicht sogar Lippenstift aufgetragen worden, was dem Tier ein unheilvoll fröhliches Aussehen verlieh, wie bei jemandem, dem man lieber nicht auf einer Weihnachtsfeier begegnen möchte. Als Inchmale ihr das Frettchen das erste Mal gezeigt hatte, hatte er vorgeschlagen, sie solle es als Totemtier begreifen. Er hatte das bereits getan und daraufhin festgestellt, dass er auf magische Weise die Bandscheiben nichtsahnender Musikmanager herausspringen lassen und ihnen damit unerträgliche Schmerzen zufügen konnte.
    Der Fahrstuhl kam. Immerhin war sie hier schon lange genug Gast, um das bewegliche Stahlgitter zu meistern. Sie unterdrückte den Impuls, dem Frettchen zuzunicken, und stieg ein. Langsam fuhr sie in das zweite Obergeschoss hinauf.
    Hier waren die Korridore in einem äußerst dunklen Grün gestrichen und krümmten sich auf verwirrende Weise. Um zu ihrem Zimmer zu gelangen, musste sie mehrere Brandschutztüren öffnen - jedenfalls glaubte sie, dass es sich um Brandschutztüren handelte, denn sie waren dick, schwer und schlossen sich von selbst. In den kurzen Gängen dazwischen hingen kleinformatige Aquarelle, Landschaften ohne Menschen, und auf jedem war in der Ferne eine Zierruine zu sehen; immer dieselbe, wie sie festgestellt hatte, ganz gleich, was für eine Landschaft dargestellt war. Sie wollte Inchmale nicht die Genugtuung verschaffen, ihn danach zu fragen. Irgendetwas an diesen Bildern entzog sich ihrer Wahrnehmung. Besser, sie sprach es gar nicht erst an. Das Leben war auch so schon kompliziert genug.
    Der Schlüssel, der an einem

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