T93 Band 1: Überlebe!
im Pastorat der Bugenhagenkirche. Offensichtlich war die psychisch instabile Gattin des Pastors durchgedreht und hatte am Sonntagmittag ihren Mann und den vierjährigen Sohn brutal erschlagen, der zweite Sohn hatte daraufhin einen Herzanfall erlitten und die Mutter hatte sich selbst gerichtet. Die Kriminalpolizei schloss ein Fremdverschulden aus.
Drei Monate vorher
Heinz Werner Gerber war Zeit seines Lebens Landwirt aus Passion. Seit vier Generationen bewirtschaftete seine Familie den Hof hier in der Mitte des Nordens, im Herzen Schleswig-Holsteins. Wo früher Urgroßvater, Großvater und sogar noch sein Vater ein paar mickrige Milchkühe aufgetrieben, etwas Ackerland bestellt und zum großen Teil für die Selbstversorgung geschuftet hatten, stand heute eine topmoderne Agraranlage, erstellt nach dem neuesten Stand der Technik. Hunderte Hektar Land hatte Gerber im Laufe der letzten zwanzig Jahre durch Pacht und Kauf dazu erworben. Die üppig fließenden Fördergelder aus Brüssel und die mangelnde unternehmerische Weitsicht seiner Nachbarn hatten ihr Übriges dazu beigetragen, dass er sich selbst nun als »Agrarökonom« bezeichnete und nicht mehr als »Bauer«. Auf seinem Land war in den letzten drei Jahren eine riesige Biogasanlage entstanden, in der jährlich tausende Tonnen organischen Materials in gasförmige Energieträger verwandelt wurden. Vornehmlich wurde hier Silage aus Monsanto-Mais vergoren, aber auch Rindergülle und zunehmende Kontingente an Bioabfällen wurden mittlerweile zur Energieerzeugung in die Anlage gefahren. Gerber war das egal, denn diese Verwertungsmassen kamen im Grunde kostenlos rein, während die Maissilage mit Beschaffungskosten bis zu 30,- Euro pro Tonne netto zu Buche schlugen. Im Grunde hatte er keine Ahnung, was genau die LKW der regionalen Entsorgungsfirmen da anlieferten, er wollte es auch gar nicht wirklich wissen. Alles, was da ankam, war Energie, die seine Anlagen lediglich in eine andere Form zu überführen hatten. Legionen von Bakterien waren seine Helfer dafür, sie arbeiteten rund um die Uhr und vermehrten sich selbst und Gerbers Reichtum.
*
Der Nachmittag jetzt im Frühsommer war lauschig, ein leichter Wind trieb den Duft der Rapsfelder über das Land, Vögel trällerten in den Knicks und ein paar Wattewölkchen jagten einander im Azur. Zufrieden sah Gerber sich auf seiner Hofstelle um. Kaum noch etwas erinnerte an den Bauernhof seiner Jugend, sogar das Haupthaus wurde inzwischen von den grünen Zwiebeltürmen der Fermenter verdeckt. Rechts von seinem Standort gab es eine Vorgrube, ein schwimmbeckengroßes Bassin, in dem Pflanzen, Bioabfälle, Gülle und andere verwertbare Substanzen vermengt wurden, um in die riesigen Fermenter, die Gärbehälter oder Reaktoren, eingefüllt zu werden. Von dort verliefen Förderschnecken zu den großen Silos, in denen bei ca. 35° Celsius die Fermentierungs- und Gärungsvorgänge abliefen. Da war ein Geräusch, das Gerber aufhorchen ließ. Eine Art kreischendes Quietschen, sehr gedämpft, fast nicht hörbar. Doch wenn jemand die Anlage so kannte, wie er, dann gab es nichts Ungewöhnliches, das unbemerkt bleiben könnte. Ruckartig drehte Gerber den Kopf, um die Richtung, aus der das eigenartige Geräusch kam, exakt zu lokalisieren. Silo 6, Metall auf Metall unter einer Schicht aus stinkendem Matsch. Verdammt. Das Rührwerk. Nun kam Bewegung in den Mittfünfziger, er spurtete zum Maschinenhaus, wo der Leitstand für die gesamte Technik untergebracht war.
»Peters!«, rief er dem Mitarbeiter zu, der gerade aus dem Maschinenleitstand kam, »Rührwerk 6!«
Sofort machte der junge Mann, der für die täglichen Wartungsarbeiten zuständig war, auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder in dem containerartigen Gebäude, aus dem er gerade gekommen war. Doch da war es bereits zu spät. Im Silo hatte sich das Rührwerk, ein gigantischer zweiflügeliger Propeller, verbogen und durchschlug die Außenwand mit der Wucht einer Cruise Missile. Das Stahlblech wurde wie mit dem Dosenöffner aufgeschlitzt, und Teile flogen umher, wie Schrapnelle eines Granathagels. Die Luft war erfüllt vom metallischen Kreischen, das nun ungedämpft vom Ort des Geschehens ausging, ein hohes Sirren umherfliegender Blechteile mischte sich unter das Poltern der berstenden Rührmechanik im Inneren des Behälters. Überall flatschten große Mengen des Gärgutes auf den Hof und hinterließen stinkende Haufen. Peters brauchte weniger als eine Minute, um die Notabschaltung der
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