T93 Band 1: Überlebe!
Technik in Gang zu bringen, doch es war bereits zu spät. Die gesamte Mechanik des Rührwerks war komplett zerstört, der Behälter beschädigt, und langsam sank die Kunststoffabdeckung auf die Unglücksstelle herab, wie um das Elend zu verdecken.
Der Unfall war zum Glück ohne Personenschäden abgelaufen, und noch bevor die dicke, grüne Plane der Siloabdeckung vollständig herabgesunken war, liefen in Gerbers Kopf bereits Zahlenreihen zur Schadenssumme auf. Mindestens sechsstellig und drei Monate Produktionsausfall. Aber zum Glück war seine Anlage gegen eben solche Vorkommnisse abgesichert. Der Versicherungsmakler würde sich morgen nicht gut fühlen, wenn er den Schaden begutachten würde. Oh, nein.
*
Peters schaltete die Anlage 6 nun komplett aus und nahm die Notbelüftung des Silos in Betrieb. Beißender, widerlicher Gestank wie von tausenden verfaulten Eiern, gepaart mit dem süßlich-widerlichen Geruch von Verwesung flutete das Gelände, als die Ventilatoren anliefen, um explosive und gesundheitsgefährdende Gase aus dem Silo zu leiten und diese extrem zu verdünnen, damit niemand daran Schaden nehmen konnte. Der Vorgang dauerte etwa fünfzehn Minuten, dann konnten Gerber und seine Mitarbeiter mit der Schadenssondierung beginnen. Am nächsten Tag wurde der Fermenter entleert, um an die Getriebe heranzukommen, der bioaktive Inhalt wurde der Einfachheit halber auf die Halde mit Gärrückständen gekippt, die in einem weiteren Schritt zu Gartenkompost verarbeitet und später sackweise in Baumärkten verkauft wurden.
Jahr Null. 13. Juli, Morgen
»Moin auch. Was gibt es Neues?«
Dr. Arno Fischer, seines Zeichens Oberarzt und Leiter der Abteilung Infektionskrankheiten am InfMed (Institut für Infektionsmedizin) der Uni Kiel, fiel stets durch gute Laune, ein freundliches Gebaren und ausgezeichnete Manieren auf. Wenn er das Büro betrat, bekam seine Sekretärin, Frau Heuer, immer glänzende Augen, in denen Begehrlichkeit schwelte. Sie mochte ihn wohl, obschon natürlich jeder hier im Institut wusste, dass der hochgewachsene, schlanke Doktor seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet und damit unerreichbar war. In jeder Hinsicht. Dennoch schaffte der Doktor, dessen Pensionierung in nicht allzu ferner Zukunft liegen mochte, es stets aufs Neue, seine Mitarbeiter zu führen, als seien sie Teil der Familie.
Freundlich lächelnd kam ihm einer der Referendare entgegen und übergab ihm mit einem Nicken die letzten Berichte aus dem Netzwerk der Infektionsmeldestellen, die Fischer an sich nahm und dann mit der freien Hand wortlos nach einem Kaffeebecher griff, den seine Sekretärin aus dem Wust an Akten, in dem sie zu versinken drohte, emporhielt. Wie ein Hecht mit seiner Beute verschwand der Doktor dann im Dickicht seines mit durchgebogenen Bücherregalen vollgestellten Büros, in dem sich eine Nachbildung der Alpen, akribisch gefertigt aus Schnellheftern, als zentrales Element in der Raummitte auffaltete.
Irgendwo hinter dem blauen Papp-Mont-Blanc musste sich der gewaltige Eichenschreibtisch befinden, auf dessen Plateau sich abermals unzählige Lagen aus Papier, der Schwerkraft scheinbar trotzend, um die oberen Plätze zu rangeln schienen. Sicher, es gab auch in diesem Raum Produkte der fortschreitenden Siliziumtechnologie, aber der Doktor zog das bedruckte Papier dem Computer immer noch vor. Offensichtlich.
»Von wann sind die Meldungen?«, rief er über die Schulter ins Vorzimmer.
»Steht drauf. Gestern«, gab der Referendar eilfertig zurück.
Fischer sah sich die Datensätze an, während er das Aktenmassiv umrundete und irgendwo am Schreibtisch Platz fand. Die Heuer kam herein und stellt wortlos einen zweiten Becher mit heißem, duftenden Kaffee auf den Schreibtisch und entschwand ebenso still wieder. Das starke Aroma des Kenia-Kaffees teilte die Schwaden von Papier- und Druckerschwärzegeruch, die sonst das Zimmer schwängerten. Fischer nahm den Becher, ohne vom Blatt, das er in der Hand hielt, aufzusehen. Ein großer Schluck heißen Kaffees ließ ihn die Augen zusammenkneifen, und nach einem unmütigen Grunzen heftete er seinen Raubvogelblick wieder auf das Papier. An sich nichts Besonderes. Routinemeldungen – er nannte es »Folklore« –, keine besonderen Vorkommnisse ... Momentchen. Was war das?
Eine Meldung aus dem Rendsburger Krankenhaus. Dort lag ein Patient auf Intensiv im Quarantänezelt. Verdacht auf MKS. Noch unbestätigt. Fischer griff zum Telefon und rief bei Professor Hellmig an, dem Leiter
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