Tänzerin der Nacht - Feehan, C: Tänzerin der Nacht - Night Game
nicht?«
»Nein. Ich glaube, dass zwischen den beiden Frauen eine Verbindung besteht. Ihre Stimmen. Sie haben beide
gesungen. Die eine in Clubs, die andere in der Kirche und im Theater, aber ich glaube, dass die Verbindung in ihren Stimmen besteht.«
Lily zog ihre Stirn in Falten. »Falls du etwas brauchst, helfen wir dir gern von hier aus. Ruf einfach an, und alles, was wir haben, steht dir zur Verfügung.«
Sie wich seinem Blick immer noch aus und hatte die Finger so eng ineinander geschlungen, dass ihre Knöchel weiß waren. Gator wartete schweigend und zwang sie damit, als Erste zu sprechen. Was auch immer sie zu sagen hatte – er hatte das sichere Gefühl, es würde nicht nach seinem Geschmack sein.
Lily räusperte sich. »Ich habe mich gefragt, ob es dir wohl etwas ausmachen würde, wenn du ohnehin schon im Bayou bist, die Augen nach einem der Mädchen offen zu halten, an denen mein Vater experimentiert hat. Ich habe den Computer Hochrechnungen anstellen lassen, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich Iris ›Flame‹ Johnson im Moment in dieser Gegend aufhält, ist sehr groß. Es könnte eine unserer ganz wenigen Gelegenheiten sein, sie ausfindig zu machen.«
»Der Bayou hat eine ziemlich große Ausdehnung, Lily. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ihr rein zufällig über den Weg laufe. Wie kommst du auf den Gedanken, sie könnte plötzlich vor mir stehen?«
»Nun, vielleicht ist der Bayou doch nicht so groß, jedenfalls nicht, wenn man in den Clubs nach Anhaltspunkten für Joys Verschwinden sucht. Seltsamerweise singt nämlich auch Flame. Sie tritt in den Clubs der Städte auf, durch die sie kommt.«
»Und warum sollte sie ausgerechnet in New Orleans sein?«
»Der Brand des Sanatoriums im Bayou ist durch alle Zeitungen gegangen, und ich glaube, das wird sie dorthin locken. Ich glaube, sie ist, genauso wie wir, auf der Suche nach den anderen Mädchen, an denen mein Vater experimentiert hat.«
Gator ließ sich Zeit mit seiner Antwort und musterte ihr Gesicht. Vor allem spielte er sich den Klang ihrer Stimme in Gedanken noch einmal vor, die winzigen Vibrationen, die nur er hören konnte und die ihm sagten, dass sie nervös war und nur einen Teil ihrer Informationen an ihn weitergab – oder dass sie log. Lily hatte keinen Grund, ihn zu belügen. »Was bringt dich auf den Gedanken, sie könnte auf der Suche nach den anderen Mädchen sein?«
Kurze Zeit herrschte Schweigen. Lily stieß ihren angehaltenen Atem langsam aus. »Mein Vater hat ein Computerprogramm geschrieben und alles eingegeben, was er über ihre Persönlichkeitsstruktur und über die Charakterzüge wusste, die ihre Entscheidungen bestimmen. Das Programm hat errechnet, die Wahrscheinlichkeit, dass sie Jagd auf die Mädchen macht, läge bei dreiundachtzig Prozent. Und als ich den Zeitungsartikel in das Programm eingegeben habe, hat es auch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit errechnet, dass sie den Verdacht schöpfen wird, der Brand hätte etwas mit Dahlia und der Whitney-Stiftung zu tun.«
»Ich habe einige der Berichte gelesen«, gab er zu. »Darin war von den Morden die Rede, und man wusste offensichtlich, dass es eine Art Killerkommando war. Du hast also recht, sie könnte dort auftauchen, um nähere Informationen einzuholen.«
»Ich bin mir ganz sicher.«
»Welches der vermissten Mädchen ist diese Iris?« Raoul
kannte die Antwort bereits. Lange vor seinen Experimenten mit den erwachsenen Männern hatte Dr. Whitney sich aus Waisenhäusern ferner Länder Mädchen beschafft und an ihnen Experimente zur Steigerung übersinnlicher Veranlagungen durchgeführt. Als sich die ersten Schwierigkeiten gezeigt hatten, hatte er sie mit Ausnahme von Lily alle abgeschoben. Lily hatte er behalten und als seine eigene Tochter großgezogen. Iris war ein aufsässiger kleiner Trotzkopf gewesen und so frech wie Oskar, mit roten Haaren und rebellischen Augen. Die Pflegerinnen hatten ihr den Spitznamen »Flame« gegeben, und sowie sie erfuhr, dass Dr. Whitney den Namen verbot, hatte Iris ihn benutzt, um ihn wütend zu machen. Damals war sie vier Jahre alt gewesen.
Raoul hatte die Videos von dem kleinen Mädchen weitaus öfter als alle anderen angesehen. Sie besaß einige Fähigkeiten, von denen die anderen nichts wussten, aber er wusste davon, denn er besaß dieselben Fähigkeiten. Schon als Kind war sie klug genug – oder wütend genug – gewesen, um ihre Gaben vor Whitney zu verbergen. Ihr Spitzname war treffend: Flame, ein kleines Streichholz, das
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