Tag der Entscheidung
Worte verlegen. »Du bist nicht verheiratet?« Mara konnte nur den Kopf schütteln. »Aber du hattest einen Ehemann. Was für eine Windung tsuranischer Tradition ist das?«
»Es heißt Scheidung aufgrund von Unfruchtbarkeit. Hokanu brauchte Erben für die Stabilität von Justins Herrschaft und das Wohl des Kaiserreiches. Du hast gerade das Resultat gesehen.« Mara schüttelte die Gefühle ab, die sie zu benebeln drohten. Sie war in der Öffentlichkeit, in Sichtweite des gesamten Hofes; ihr Bild als Lady und Tsurani mußte in diesem Augenblick geradezu lächerlich sein.
Arakasi ergriff das Wort und rief: »Der Tag der Bittsteller ist beendet. Ziehen wir uns zurück und danken wir unserem Licht des Himmels.« Der Rückzug setzte sich nur langsam in Gang, da die meisten Edlen neugierig darauf waren, was für ein merkwürdiger Wortwechsel auf dem kaiserlichen Podest stattfand, und noch zögerten. Die midkemischen Edlen, die Kevin begleitet hatten, tauschten unsichere Handzeichen aus; sie wußten nicht, ob sie auf ihren Anführer warten oder ohne ihn gehen sollten.
Mara sah hundert Augenpaare auf sich gerichtet, alle gespannt darauf, wie sie als nächstes reagieren würde. Und plötzlich war es ihr egal. Sie nahm eine Haltung größter Würde und Formalität ein. »Kevin, Baron des Hofes, Botschafter des midkemischen Königs der Inseln, ich habe es versäumt, meinen Pflichten als Mutter nachzukommen. Ich präsentiere dir daher deinen leibhaftigen Sohn: Justin, zweiundneunzigmal Kaiser und Licht des Himmels von Tsuranuanni. Ich bitte bescheiden darum, daß er gerechte Aufnahme in deinen Augen findet und eine Ehre für den Stolz deiner Familie ist.«
Der kaiserliche Herold riß die Augen auf, als er das hörte, und blickte Arakasi hilfesuchend an. Doch der Kaiserliche Erste Berater zuckte nur mit den Achseln und nickte, und so erhob der Herold seine Stimme über die versammelten tsuranischen Edlen. »Kevin von Rillanon, Botschafter von König Lyam und Vater unseres Lichts des Himmels.«
Lady Mara fuhr zusammen, als lauter Jubel von den jüngeren Edlen erscholl, die schon fast bei den großen Außentüren angekommen waren. Sie strömten zurück zum Geländer und zeigten ihre Zustimmung mit wildem Füßestampfen und Händeklatschen. Mehr als alles andere überzeugte dies Mara davon, wie schnell zwei kurze Jahre veränderter Politik Wurzeln gefaßt hatten. Es gab nämlich nur eine einzige Möglichkeit, wie ein Midkemier Vater eines vierzehnjährigen tsuranischen Jungen hatte werden können: indem er das Kaiserreich zuvor als Sklave und Kriegsgefangener besucht hatte.
Es war noch nicht lange her, da hätte der Gedanke, daß der Sohn eines Sklaven Kaiser wird, eine blutige Rebellion entfacht – einen Krieg aus Beleidigungen und Ehrbezichtigungen, die nichts weiter als eine Ausrede waren, damit jeder Lord seine eigenen heimlichen Ziele verfolgen konnte, um sein Haus über seine Feinde triumphieren zu lassen.
Doch als Mara die Gesichter der Edlen studierte, sah sie hauptsächlich Verwirrung, Überraschung und ehrliche Bewunderung. Für alle bis auf ein paar Engstirnige hatten die Gesetze der Großen Freiheit bereits das Spiel des Rates ersetzt. Immer mehr edle Söhne strebten kaiserliche Pflichten an, statt den Streitkräften ihrer Familien zu dienen. Diese jungen Männer, die die Traditionen ihrer Ahnen sprengten, jubelten jetzt am lautesten.
Wieder einmal hatte Mara das Undenkbare getan. Das Volk ihres Kaiserreiches erwartete es geradezu von ihr, so sehr hatten sie sich daran gewöhnt, den verschlungenen Pfaden auf ihrem Weg zu folgen.
Und dann sprang Justin vom Thron auf, reichte das Gewand und die Kopfbedeckung seinem Diener und stürzte sich in die Arme des Vaters, den er nie kennengelernt hatte, dessen Name jedoch eine Legende geworden war, von der die Älteren im Haushalt der Acoma nur mit Ehrfurcht sprachen.
Mara blickte auf, Tränen glänzten wieder in ihren Augen, bis Kevin seinen riesigen Arm um sie legte und sie von den Kissen emporzog, um sie beide zu umarmen.
Die Lady mußte lachen. Sie hatte vergessen, wie impulsiv er war, wie überwältigend stark.
»Herrin des Kaiserreiches«, murmelte er, während noch gewaltigerer Jubel die Halle erfüllte. »Du bist eine Lady voller Überraschungen! Ich nehme an, ich werde Gelegenheit haben, ein bißchen Zeit in den kaiserlichen Gemächern zu verbringen, um meinen Sohn kennenzulernen und die alte Bekanntschaft mit seiner Mutter wieder zu erneuern?«
Mara holte
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