Tag der Entscheidung
Hand fuhr an den Mund, als wollte sie verhindern, daß sich ihr ungebetene Worte entringen konnten. Diese wenn auch noch so kleine Bewegung verschaffte Kevin eine Gänsehaut. Er wandte ihr seinen Blick zu – seine Augen waren noch viel blauer, als sie sie in Erinnerung hatte. Sein Gesicht war ihr so vertraut und hatte sich in all den Jahren nur wenig verändert. »Ich hatte erwartet, dich hier zu finden«, meinte er mit einer Stimme, die rauh klang vor zurückgehaltenen Gefühlen. Nur diejenigen oben auf dem Podest konnten seine Worte hören. »Zu wem in diesem Land könnte der Titel ›Herrin des Kaiserreiches‹ sonst passen? Doch dies hier, dein Licht des Himmels« – seine große Hand deutete auf Justin, und seine Augen wurden messerscharf –, »Lady, warum hast du mir niemals etwas davon gesagt?«
Das Paar, das einst tiefe Liebe verbunden hatte, schien allein in der riesigen Halle zu sein.
Mara schluckte. Zu deutlich erinnerte sie sich an ihren endgültigen Abschied: wie dieser Mann abgerissen und verzweifelt auf der Straße stand, als er sich gegen die Sklavenhändler zur Wehr setzte, die ihren Befehl ausführten und dafür sorgten, daß er mit Gewalt in seine Heimatwelt zurückkehrte.
Damals war sie unfähig gewesen, überhaupt irgend etwas zu sagen. Jetzt sprudelten die Worte aus ihr heraus. »Ich habe mich nicht getraut. Ein Sohn hätte dich auf dieser Seite des Spalts gehalten, und das wäre ein Verbrechen gegen alles gewesen, was du mich gelehrt hast. Niemals hättest du geheiratet, niemals für dich selbst gelebt. Justin ist in dem Wissen aufgewachsen, wer sein Vater war. Bist du wütend auf mich?«
»Justin«, wiederholte Kevin und ließ den Namen auf der Zunge zergehen. »Nach meinem Vater?« Als Mara ängstlich nickte, warf er einen glühenden Blick auf den Jungen, der aufrecht auf dem goldenen Thron saß. Dann zitterte er wieder. »Wütend?«
Mara zuckte zusammen. Er hatte schon immer dazu geneigt, in unangebrachten Momenten zu sprechen, noch dazu mit viel zu lauter Stimme.
Er sah sie an und dämpfte seine Stimme, obwohl die Betonung der Worte nicht weniger barsch war. »Ja, ich bin wütend. Ich bin beraubt worden. Ich hätte meinen Sohn gerne aufwachsen sehen.«
Mara errötete. Er hatte nichts von seiner Fähigkeit verloren, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie vergaß die Gelassenheit der Tsuranis und verteidigte sich. »Du hättest niemals andere Kinder gehabt, wenn ich es getan hätte.«
Kevin schlug sich mit der Hand aufs Bein. Da er so weit unten am Boden hockte, erreichte seine Antwort auch jene, die direkt am Podest standen. »Lady, was soll dieses Gerede von Kindern? Ich habe keine! Ich habe niemals geheiratet. Ich habe Dienst getan am Hof meines Prinzen Arutha – zwölf Jahre habe ich mit den Grenzbaronen in Hochburg und den Wächtern des Nordens gegen Kobolde und Dunkelelfen gekämpft. Dann wurde ich wie aus dem Nichts nach Krondor berufen, und man teilte mir mit, daß ich für den neuen Posten, der durch die Bitte des Kaisers von Tsuranuanni nach einem Austausch von Botschaftern möglich wurde, ausgewählt worden war – ich bin zwar von edler Geburt, doch bei älteren Brüdern und nahezu einem Dutzend Neffen besteht keinerlei Möglichkeit auf ein Erbe. Zudem spreche ich fließend Tsuranisch. Also befahl mein König – oder besser, Prinz Arutha ernannte mich auf Befehl seines Bruders –, und plötzlich bin ich ein mit Bändern geschmückter Höfling und verbeuge mich wie ein dressierter Affe vor meinem eigenen Sohn!«
Bei diesen Worten wandte der midkemische Botschafter sich etwas um und blickte den Kaiser an. Seine Gereiztheit verschwand. »Er sieht aus wie ich, nicht wahr?« Dann grinste er und winkte Justin zu. Der Blick, den er dann wieder auf Mara richtete, war kühl, als seine Heiterkeit wieder verflog. »Ich hoffe nur, daß dein Ehemann deswegen nicht mit dem Schwert auf mich losgeht!« endete er mit jener trockenen Spöttelei, die sie entweder aufheitern oder in Rage versetzen konnte.
Die Herrin des Kaiserreiches blinzelte; sie begriff, wie wenig Kevin von dem wußte, was in den vergangenen vierzehn Jahren geschehen war. »Hokanu erzog den Jungen als Stiefvater; er wußte von Anfang an um die wahren Umstände seiner Zeugung.«
Jetzt war es Kevin, der verblüfft dreinschaute. »Habe ich den Lord der Shinzawai nicht gerade draußen gesehen, zusammen mit einer jungen Braut und zwei Babys?«
Mara nickte; sie war unfähig zu sprechen.
Doch Kevin war niemals um
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