Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag des Opritschniks, Der

Tag des Opritschniks, Der

Titel: Tag des Opritschniks, Der Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
einmal eine Neuigkeit. Die Tochter des Gossudaren!
    »Fick deine Mutter!«, entfährt es mir.
    Im nächsten Moment prallt die Faust des Alten von rechts gegen meinen Unterkiefer.
    »Hüte deine Zunge!«
    »Entschuldige, Ältester, der Teufel hat mich geritten, da ist mir das rausge…«
    »Fick deine, das kommt dich billiger!«
    »Du weißt doch, dass meine Mutter tot ist«, versuche ich Mitleid zu heischen.
    »Fick sie im Grab!«
    Ich reibe mir die geprellte Kinnlade und schweige.
    »Den Ungeist des Fluchens werde ich euch noch austreiben, verlasst euch drauf! Wer seine Lippen mit Mutterflüchen verunziert, wird bei der Opritschnina nicht alt!«
    Wir sitzen kleinlaut da.
    »Wo war ich stehengeblieben?«, fragt der Alte. »Ah ja, des Gossudaren Töchterlein soll die Scheidung eingereicht haben. Ich vermute, der Patriarch wird den Teufel tun, darauf einzugehen. Aber der Moskauer Metropolit vielleicht doch.«
    Vielleicht. Sehr wahrscheinlich sogar. Überhaupt kein Problem! Das Gefühl haben wir alle. Und dann wird Urussow ganz und gar nackent sein. Splitternackent, sozusagen. Wahrlich geschickt, wie unser Gossudar seine Innenpolitik einfädelt! Vom familiären Standpunkt aus hätte er das Schmähgedicht nicht weiter ernst nehmen müssen – was kann es ihm schon anhaben? Wenn man bedenkt, was Staatsfeinde im Untergrund so zusammenkritzeln … Und es handelt sich ja doch – Schmach hin,Verfehlung her – um seinen Schwiegersohn, den Gemahlen des geliebten Töchterleins! Betrachtet man das Ganze jedoch aus staatsmännischer Sicht, dann ist die Entscheidung genial. Ein Coup! Nicht umsonst spielt der Gossudar am liebsten Schach oder Stockschießen. Er hat seine Kombination viele Züge vorausberechnet. Hat im rechten Moment kräftig Schwung geholt und sein Wurfgerät gegen die Seinen geschleudert. Den gar zu protzigen Schwiegersohn aus dem Engsten Kreis herausgekickt. Und damit zum einen bewirkt, dass die Liebe des Volkes zu ihm sich verdoppelt und verdreifacht hat. Zum Zweiten seinen Engsten eingeschärft, nur ja nicht über die Stränge zu schlagen. Zum Dritten den Beamten den Rücken gestrafft: Seht her, so muss ein Staatsmann handeln! Und nicht zuletzt auch uns Opritschniki ein Zeichen der Ermunterung gegeben: Es gibt in Russland niemanden, der unantastbar ist. Es kann und darf ihn nicht geben. Und das ist gut so.
    Die beiden Flügel sitzen sich gegenüber, wiegen die Köpfe und schnalzen mit der Zunge: Tz-tz-tz! Urussow – nackent! Nicht zu fassen! Na, geschieht ihm recht. Ist Moskau auf der Nase rumgetanzt! Hat sich im Glanz des Gossudaren gesonnt … Staub aufgewirbelt, Leute aufgemischt. Drei Rolls-Royce hat er gefahren … Nein, wirklich, alles, was recht ist: drei Rolls-Royce! Einen vergoldeten, einen versilberten und einen platinierten!
    »Und was wird er fürderhin fahren?«, fragt Jerocha.
    »Einen lahmen elektrischen Stuhl!«, erwidert Samosja.
    Alles grölt.
    »Und damit nicht genug der Neuigkeiten!«, sagt der Alte und erhebt sich – im Adamskostüm.
    Wir horchen auf.
    »Urussow wird gleich hier sein. Er kommt in die Banja. Will mit uns schwitzen und um Beistand flehen.«
    Wer schon gestanden hat, setzt sich wieder hin. Das schlägt dem Fass den Boden aus! Urussow kommt – zum Alten? Obgleich, nüchtern besehen: Wo sollte er auch sonst unterzukriechen versuchen – jetzt, wo er nackent ist? Aus dem Kreml hat ihn der Gossudar rausgeschmissen, die Geschäftspartner lassen ihn fallen wie eine heiße Kartoffel, die Beamten ebenso. Die Kirche wird ihn auch nicht in Schutz nehmen, der Unzucht wegen. Buturlin? Die beiden konnten sich noch nie riechen. Die Gossudarin? Wird von der Stieftochter wegen ihres »lasterhaften Lebenswandels« verachtet und hasst sie dafür – erst recht deren Gatten, selbst wenn er nun schon ein »Ex« ist. Nach China ist dem Grafen der Weg versperrt, weil Zhou Shen Ming ein Freund des Gossudaren ist, und ohne ihn geht gar nichts. Was bleibt dem Grafen also übrig? Soll er auf seinem Landgut sitzen und warten, bis wir mit unseren Besen anrollen? Drum hat er in seiner Verzweiflung beschlossen, dem Alten die Füße zu küssen. Goldrichtig! Ein Nackenter gehört in die Banja.
    »So sieht’s aus im Freudenhaus«, fasst der Alte zusammen. »Und jetzt wird geschwitzt!«
    Der Alte geht voran ins Innere der Banja – wir, nackt allesamt wie Adam im Garten Eden, heften uns an seine Fersen. Die Banja vom Alten macht was her: eine Säulenhalle mit Gewölbedecke, Mosaikfußboden aus gediegenem

Weitere Kostenlose Bücher