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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Ablecken oder ein Büromöbel zum Verschieben hatten. Er fuhr sich mit seiner dünnen Hand durch sein noch dünneres Haar und lächelte mich erleichtert an.
    Norman, unsere Bürosaufnase, kam bewaffnet mit zwei Flaschen rotem Wein und einem bemerkenswert roten Gesicht zur Party, was mich zu der Annahme verleitete, dass er beim Mittagessen mehr als nur ein Schinken-Käse-Sandwich zu sich genommen hatte. Er hatte einen herrlich tuntigen britischen Akzent, der sich anhörte, als spräche er mit Kieselsteinen im Mund, und einen Kopf voll dichtem braunen Haar, das zu einem Bob à la Trappistenmönch geschnitten war.
    »Schääätzchen!« Er zwinkerte mir zu, ließ sich elegant auf einen Stuhl sinken und überkreuzte seine langen, in Schottenstoff gekleideten Beine. Trotz seines höchst schwul wirkenden Auftretens und Kleidungsgeschmacks war Norman ein Hardcore-Heterosexueller und scheinbar sehr gut im Bett, zumindest laut Laura, dem bekennenden Büroflittchen, auch bekannt als Buchhalterin, sofern sie Lust hatte zu arbeiten. Laura setzte sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf meine Schreibtischkante, wobei sie ihren Rock unauffällig auf Mitte der Oberschenkel hochzog, damit wir alle ihre Beine bewundern konnten, was wir auch gebührend taten – immerhin waren sie wirklich hübsch.
    So, hier ist meine Wenigkeit: Füße auf dem Tisch, Unmengen von abgelaufenem Baileys aus einem Pappbecher saufend und ins Schwärmen geratend bei Themen wie: »Sind Julia Roberts Beine von der Hüfte bis zum Knöchel wirklich 1 Meter 12 lang?«, oder: »Hat Colin Farrell seinen
Dublin-Akzent daher, dass er sich immer die Wiederholungen von Fair City angeschaut hat?«
    Alle anderen tranken Normans Rotwein und mampften dünne Scheiben leuchtend orangefarbener Easi Singles, die Jennifer hinten im Kühlschrank gefunden hatte. Vorne auf die Käse-Packung hatte jemand »Orla« gekritzelt, aber diese hatte das Unternehmen vor Wochen verlassen, somit wurde niemandem Schaden zugefügt. Auch Jennifer kam, was ungewöhnlich war, denn sie nahm ihre Arbeit als PA des GF sehr ernst. Sie saß auf der Kante eines Stuhls, bereit, beim ersten Sichten eines Anzugträgers aufzuspringen und wild drauflos zu kopieren. Sie war eine wahre Schönheit: groß und schlank, mit schulterlangem schwarzen Haar, das füllig und weich war (sicher würde mir jeder zustimmen, dass das eine seltene Kombination ist). Wenn sie in richtig guter Stimmung war, erlaubte sie uns, ihr Haar zu berühren – solange wir es dabei beließen. (Nora, eine unserer Exkolleginnen, hatte eines Tages, während sie Jennifers Haare streichelte, ein wenig die Kontrolle über sich verloren, und das Ganze wurde ziemlich peinlich. Kurz nach Dem Vorfall verließ Nora die Firma)
    »Wisst ihr, abgelaufener Baileys ist eigentlich gar nicht so schlecht«, lallte ich und leerte die letzten Reste aus der Flasche in meinen aufgeweichten Pappbecher.
    »Da ist ein Molkereiprodukt drin, ich würde die Finger davon lassen«, warf Laura ein und trank auf höchst anspielungsreiche Art einen großen Schluck aus der Weinflasche.
    »Molkereiprodukt? Was redest du denn da?« Ich leckte das Innere meines leeren Bechers aus.
    »Ähm, hallooooo! Baileys Irish CREAM. Cream ist Sahne, in Sahne ist Milch, und Milch ist ein Molkereiprodukt. Wahrscheinlich bekommst du Würmer, wenn du das Zeug trinkst«, fuhr Laura fort.

    »Psssst«, zischte Jennifer plötzlich. »Was ist das?« Wir verstummten und horchten. Es war das untrügliche Summen des in Bewegung gesetzten Aufzugs. Alle starrten auf die Anzeige über den Aufzugtüren. Wir befanden uns im dritten Stock, und der Lift war auf dem Weg zu uns. Nun war er im ersten Stock, jetzt im zweiten. Ich schwang meine Beine vom Tisch und warf die leere Baileys-Flasche in Richtung Abfalleimer. Sie landete daneben und rollte geflissentlich vor die Aufzugtüren. Ein schrilles »Pling« ertönte, die Türen öffneten sich. Ins Büro trat Sarah, die mit einer Fülle von Schlüsseln an einem geradezu lächerlich großen Metallring klapperte.
    »Leute!«, bellte sie und rasselte mit ihrem Gefängnisleiterinnen-Schlüsselbund ungefähr in unsere Richtung. Dann entdeckte sie auf dem Boden die Flasche, warf mir einen Blick zu, der Unkraut vernichtet hätte, und warf sie in den Abfalleimer, den ich vorher angepeilt hatte. Die Flasche landete genau in der Mitte des Eimers, und Sarah lächelte fast.
    »Die Uhrzeit beträgt siebzehnhundert, und ich sperre ab, wenn ihr also das Wochenende

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