Tage der Freuden
berühmter Musiker werden, und der Rührung seiner Mutter, die sie vergebens zu verbergen suchte. Nun war keine Zeit mehr, die leidenschaftlichen hohen Erwartungen seiner Mutter und seiner Schwester, die er grausam getäuscht hatte, zu verwirklichen. Er sah die große Linde wieder, unter der er sich verlobt hatte, und den Tag, an dem er seine Verlobung gelöst – und nur seine Mutter hatte es verstanden, ihn zu trösten. Er glaubte seine alte Pflegerin zu umarmen und seine erste Geige im Arm zu haben. Dies alles sah er in einer lichterfüllten, traurigen, sanften Ferne wieder, es war eine Ferne wie die, auf welche die Fenster nach dem Felde blickten, ohne sie zu sehen.
Er sah dies alles wieder, und trotzdem waren noch nicht zwei Sekunden vergangen, seitdem der Arzt sich über sein Herz gebeugt und gesagt hatte: »Es ist das Ende!«
Er richtete sich auf und sagte:
»Es ist zu Ende!«
Alexis, seine Mutter und Jean Galéas und der Herzog von Parma, der eben gekommen war, knieten nieder. Die Dienstboten weinten im Vorraum hinter der offenen Tür.
[Oktober 1894]
Violante oder die Weltlichkeit
I
Gedankenvolle Kindheit der Violante
»Habt wenig Umgang mit jungen Leuten und mit Personen aus der großen Welt … sehnt euch nicht danach, vor den Großen dieser Welt zu erscheinen.«
Nachfolge Christi 1, 8. V.
Die Gräfin von Steyer war eine vornehme und zärtliche Seele; ihr ganzes Wesen war durchdrungen von einer unbeschreiblich bezaubernden Anmut. Der Graf, ihr Herr Gemahl, war geistig außerordentlich lebhaft, und die Züge seines Gesichts mußte man in ihrer Regelmäßigkeit bewundern. Aber der erstbeste Grenadier von der Straße verfügte über mehr Zartgefühl und weniger Banalität. Diese Eltern erzogen nun fern von der Welt auf ihrem bäuerlichen Gute von Steyer ihre Tochter Violante, die, schön und voller Leben wie ihr Vater, warmherzig und geheimnisvoll berückend wie ihre Mutter, alle Eigenschaften ihrer Eltern in der vollendeten Harmonie ihres Wesens zu vereinen schien. Aber die wechselnden Wünsche ihres Herzens und ihrer Gedankenwelt begegneten in ihrer Seele keiner gleichstarken Willenskraft, und diese allein hätte sie sicher leiten können, ohne sie zu hemmen. Eine solche Willenskraft hätte verhindert, daß diese Regungen des Herzens und des Kopfes aus ihr nur ein charmantes und zerbrechliches Spielzeug machten. Dieser Mangel machte der Mutter Violantes viel Unruhe, die mit der Zeit hätte gute Früchte tragen können, wenn nicht die Gräfin durch einen Jagdunfall zugleich mit ihrem Gatten zugrunde gegangen wäre und Violante im Alter von fünfzehn Jahren als Waise zurückgelassen hätte. Nun lebte Violante fast allein, unter der zwar wachsamen, aber doch recht schwerfälligen Aufsicht des alten Augustin, der ihr Hofmeister und zugleich der Intendant des Schlosses von Steyer war. Violante, der die Freunde fehlten, machte aus ihren Träumen wundersame Gefährten, denen sie dann ihr ganzes Leben treu zu bleiben versprach. Sie führte sie denn auch spazieren in den Alleen des Parkes, ließ sie durch die Landschaft streifen und hieß sie sich mit den Ellbogen auf die Terrasse stützen, die als Abschluß des Gutes auf das Meer hinausging. Sie wurde von diesen Träumen wie über sich selbst herausgehoben, von ihnen in den geheimen Kreis eingeweiht, und so fühlte sie das Sichtbare in seiner ganzen Fülle und ahnte ein wenig das, was die irdischen Augen nicht sehen. Ihr Frohsinn kannte keine Grenzen, von Zeit zu Zeit schwebte Traurigkeit über sie hin und milderte die helle Freude in süße Wehmut.
II
Sinnenwelt
»Stützet euch ja nicht auf ein Rohr, das der Wind bewegt, noch auch bauet darauf; denn jegliches Fleisch ist wie die Pflanze, und sein Ruhm vergeht wie das Kraut der Felder.«
Nachfolge Christi
Außer Augustin und einigen Dorfkindern sah Violante keine Menschenseele. Nur eine jüngere Schwester ihrer Mutter, die in Jolianges (das Schloß war einige Stunden weit entfernt) wohnte, erschien manchmal, um Violante zu besuchen. Bei solcher Gelegenheit kam eines Tages einer ihrer Freunde mit. Er nannte sich Honoré und war sechzehn Jahre alt. Er hatte nicht das Glück, Violante zu gefallen, aber er kam wieder. Während er mit ihr durch eine Allee des Parkes promenierte, brachte er ihr höchst unanständige Dinge bei, über die sie noch sehr im unklaren gewesen war. Was sie dabei empfand, war sehr gut und angenehm, doch schämte sie sich dessen sofort. Später dann, als die Sonne schon
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