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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Proust
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zeigte sich als niedriges Subjekt, und dieser Umstand trennte sie stärker als früher seine Geringschätzung. »Ich habe ja kein Recht, entrüstet zu sein«, sagte sie, »was ich an ihm geliebt habe, war eine große Seele. Dabei habe ich doch seine Gemeinheit stets gefühlt, ohne daß ich es mir zu gestehen wagte. Es hinderte mich nicht, ihn zu lieben, aber das Ideal einer hohen Seele stand mir dennoch vor Augen. Ich bildete mir ein, man könnte gemein sein und dabei doch liebenswert. Hat man aber einmal aufgehört, der Herzensstimme zu folgen, dann zieht man natürlich vornehme Naturen vor. Wie sonderbar war diese Leidenschaft für einen minderwertigen Menschen, die ganz vom Gehirn kam und die durch keine Verwirrung der Sinne entschuldigt werden konnte! Platonische Liebe wiegt nicht schwer.« Wir werden sehen, daß Violante wenig später zu der Überzeugung kam, daß die sinnliche Liebe noch leichter wiege.
    Augustin kam zu Besuch und wollte sie zurückführen.
    »Sie haben ein wahres Königreich erobert. Ist das nicht genug? Warum werden Sie nicht noch einmal die Violante von einst?«
    »Ich hätte es schon erobert, Augustin? Nein, ich bin gerade dabei. Laß mir wenigstens noch ein paar Monate Zeit!«
    Ein Ereignis, daß Augustin nicht hatte voraussehen können, entband Violante für einige Zeit der Verpflichtung, an die Heimreise zu denken. Sie hatte zwanzig allerhöchste Hoheiten, ebenso viele souveräne Prinzen und einen Mann von Genie zurückgewiesen, die alle um ihre Hand angehalten hatten, nun heiratete sie den Herzog von Böhmen, einen Mann der außerordentlichsten Anmut und Besitzer von fünf Millionen Dukaten. Am Abend der Hochzeit kam die Nachricht, Honoré sei zurückgekommen, und diese Nachricht hätte die Verbindung beinahe zum Scheitern gebracht. Aber ein Übel, das Honore befallen hatte, verunstaltete ihn, und seine Vertraulichkeiten ließen Violante nun schaudern. Sie weinte bittere Tränen über die Vergänglichkeit ihrer Wünsche und Begierden, die einst so feurig hingezogen worden waren zu der Jugendblüte eines Körpers, der jetzt in seiner Herrlichkeit und Kraft auf immer zerstört war. Die Herzogin von Böhmen fuhr fort zu bezaubern, wie es die Violante von Steyer getan. Das unermeßliche Besitztum des Herzogs war gerade gut genug, einen würdigen Rahmen um das einzigartige Kunstwerk zu bilden, das ihre Person darstellte. Aus einem Kunstwerk verwandelte sie sich in einen Luxusartikel, kraft jener nur zu natürlichen Neigung aller Dinge auf Erden, zum Geringeren herabzusinken, sobald der edle Aufschwung nicht ausreicht, ihren Schwerpunkt sozusagen über sich selbst zu erheben. Augustin konnte es nicht fassen, was er über sie hörte. Er schrieb ihr:
    »Weshalb spricht die Herzogin ohne Unterlaß von Dingen, die einer Violante von Herzensgrund verhaßt waren?«
    »Warum? Weil ich mit meinem eigenartigen Wesen nicht gefallen konnte, mochte es tausendmal über die andern erhaben sein, denn diese Eigenheiten waren denen, die in der großen Welt leben, unverständlich und antipathisch. Aber ich langweile mich, guter Augustin!«
    Er kam, um sie zu besuchen, und erklärte ihr, warum sie sich langweile.
    »Ihr Interesse für die Musik, für die Betrachtung, für das Wohltun, für die Einsamkeit, für das Leben auf dem Lande, all das ist bei Ihnen ausgeschaltet. Ihr einziges Lebensziel ist der Erfolg, Ihr einziger Halt das Vergnügen. Aber man findet das Glück nur darin, zu tun, was man liebt, und nur dort, wohin es den Menschen aus dem Herzensgrunde zieht.«
    »Wie kannst du das wissen, der du doch nie gelebt hast?« fragte Violante.
    »Ich habe nachgedacht, und darin besteht das Leben«, antwortete Augustin, »aber ich hoffe, daß auch Sie bald dieses inhaltsleere Leben satt haben werden.«
    Violante langweilte sich mehr und mehr, heiter war sie nie mehr. Die tiefe Unsittlichkeit der Welt, die ihr bis jetzt gleichgültig gewesen war, warf ihren Schatten auf sie und verletzte sie schmerzlich, so wie die furchtbare Härte der Jahreszeiten einen Körper niederzwingen kann, dem eine Krankheit die Kraft zum Widerstand geraubt hat. Eines Tages ging sie allein in einer verlassenen Allee spazieren, da stieg aus einem Wagen, den sie nicht beachtet hatte, eine Frau und kam gerade auf sie los. Sie sprach sie an, fragte sie, ob sie Violante von Böhmen sei, und erzählte, sie sei die Freundin ihrer Mutter. Sie habe sich danach gesehnt, die kleine Violante wiederzusehen, die sie einst auf ihren Knien gehalten

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