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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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darin so langsam vor. Ihr wurde
    undeutlich bewußt, daß er etwas über Einsamkeit sagte. Ach, natürlich! Er erzählte ihr von der Einsamkeit, mit der sie sich im Dschungel würde abfinden müssen, wenn sie verheiratet waren.
    Er hätte sich darüber keine Sorgen zu machen brauchen.
    Vielleicht fühlte man sich wirklich im Dschungel manchmal
    ziemlich einsam? Meilenweit von allem entfernt, kein
    Kinematograph, keine Tanzereien, niemand zur Unterhaltung als den Ehemann, abends nichts zu tun außer lesen - ziemlich
    langweilig klang das. Aber man konnte ein Grammophon
    anschaffen. Wie anders würde es sein, wenn diese neuen
    tragbaren Radioapparate nach Burma kämen! Sie wollte das
    gerade sagen, als er fortfuhr:
    »Habe ich mich Ihnen überhaupt verständlich gemacht?
    Haben Sie von dem Leben, das wir hier führen, ein Bild
    bekommen? Die Fremde, die Einsamkeit, die Melancholie!
    Fremde Bäume, fremde Blumen, fremde Landschaften, fremde
    Gesichter. Das alles ist so fremd wie auf einem anderen
    Planeten. Aber sehen Sie - und eben das möchte ich Ihnen so gern klarmachen -, sehen Sie, vielleicht ist es gar nicht so schlecht, auf einem anderen Planeten zu leben, vielleicht ist es sogar das Interessanteste, was man sich vorstellen kann, wenn man nur einen Menschen hat, mit dem man es teilen kann. Einen Menschen, der es mit ähnlichen Augen sehen könnte wie man
    selbst. Dieses Land ist für mich so etwas wie eine einsame Hölle gewesen - das ist es für die meisten von uns -, und doch kann ich Ihnen sagen, es könnte ein Paradies sein, wenn man nicht allein wäre. Kommt Ihnen das alles ganz sinnlos vor?«
    Er war am Tisch stehen geblieben und nahm ihre Hand. Im
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    Halbdunkel konnte er ihr Gesicht nur als blasses Oval sehen, wie eine Blume, aber als er ihre Hand fühlte, wußte er sofort, daß sie von dem, was er gesagt hatte, kein Wort verstanden hatte. Wie sollte sie auch? Es war so fruchtlos, dieses
    verschlungene Gerede! Er würde jetzt sofort zu ihr sagen:
    Wollen Sie mich heiraten? Hatten sie nicht das ganze Leben vor sich, um sich auszusprechen? Er nahm ihre andere Hand und
    zog sie sanft hoch.
    »Verzeihen Sie mir all den Quatsch, den ich geredet habe.«
    »Ist schon gut«, murmelte sie undeutlich, denn sie erwartete, daß er sie küssen würde.
    »Nein, es ist Unsinn, so zu reden. Manches läßt sich in Worte fassen, manches nicht. Außerdem war es eine Unverschämtheit, immerfort nur über mich selbst zu quengeln. Aber ich wollte auf etwas hinaus. Schauen Sie, was ich sagen wollte: Wollen Sie -«
    »Elizabeth!«
    Es war Mrs. Lackersteens hochgeschraubte, klagende Stimme, die vom Club her rief.
    »Elizabeth! Wo bist du, Elizabeth!«
    Offenbar näherte sie sich der Eingangstür - würde im nächsten Augenblick auf der Veranda sein. Flory zog Elizabeth an sich.
    Sie küßten einander eilig. Er ließ sie los, behielt nur ihre Hände in den seinen.
    »Schnell, wir haben gerade noch Zeit. Beantworten Sie mir
    dies: Wollen Sie -«
    Aber mit diesem Satz kam er nie weiter. Im selben
    Augenblick geschah etwas Außerordentliches unter seinen
    Füßen - der Fußboden wogte und rollte wie ein Meer - er
    taumelte, dann schwindelte ihm, und er fiel hin und schlug mit dem Oberarm auf, als der Fußboden sich ihm entgegenhob. Als er da lag, wurde er heftig hin- und hergeschleudert, als ob unter ihnen ein riesiges Tier das ganze Gebäude auf seinem Rücken
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    schaukelte.
    Der betrunkene Fußboden kam ganz plötzlich wieder zur
    Ruhe, und Flory setzte sich auf, benommen aber nicht ernstlich verletzt. Er bemerkte undeutlich, daß Elizabeth ausgestreckt neben ihm lag und aus dem Innern des Clubhauses Schreie
    kamen. Draußen vor dem Tor rannten zwei Burmanen durch den Mondschein, ihr langes Haar nach hinten geweht. Sie schrien so laut sie konnten:
    »Nga Yin schüttelt sich! Nga Yin schüttelt sich!«
    Flory sah ihnen verständnislos nach. Wer war Nga Yin? Nga
    ist die Vorsilbe vor dem Namen eines Verbrechers. Nga Yin
    mußte ein Bandit sein. Warum schüttelte er sich? Dann fiel es ihm ein. Nga Yin war ein Riese, der nach dem Glauben der
    Burmanen wie Typhon unter der Erdkruste begraben war.
    Natürlich! Es war ein Erdbeben.
    »Ein Erdbeben!« rief er, und dann fiel ihm Elizabeth ein, und er wollte sie aufheben. Aber sie hatte sich schon aufgesetzt, war unverletzt und rieb sich den Hinterkopf.
    »War das ein Erdbeben?« fragte sie mit ziemlich
    eingeschüchterter Stimme.
    Mrs. Lackersteens hohe Gestalt kam um die Ecke der

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