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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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brachte sein Pferd zum Kantern, kehrte um und reichte dem Sepoy den durchbohrten Pflock.
    Verrall ritt noch zweimal nach dem Pflock und traf ihn
    jedesmal. Es geschah mit unvergleichlicher Anmut und
    außerordentlichem Ernst. Die ganze Gruppe, Engländer und
    Inder, war auf das Treffen des Pflocks konzentriert, als handelte es sich um eine rituelle Handlung. Flory stand noch unbeachtet daneben und sah zu - Verralls Gesicht schien speziell dafür geschaffen, unwillkommene Fremde zu übersehen -, aber gerade die Tatsache, daß man ihn schnitt, machte ihn unfähig, sich loszureißen. Irgendwie hatte Verrall in ihm ein grauenhaftes Gefühl der Unterlegenheit geweckt. Er suchte nach einem
    Vorwand, das Gespräch wieder anzuknüpfen, als er den Hang
    hinaufblickte und Elizabeth in Hellblau aus dem Tor ihres
    Onkels kommen sah. Sie mußte das dritte Durchbohren des
    Pflocks gesehen haben. Sein Herz zog sich schmerzhaft
    zusammen. Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf, einer jener überstürzten Gedanken, die gewöhnlich zu Ärger führen. Er rief Verrall, der ein paar Meter von ihm entfernt stand, und deutete mit seinem Stock auf die Pferde.
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    »Können die anderen beiden das auch?«
    Verrall blickte mit mürrischer Miene über die Schulter. Er hatte erwartet, daß Flory gehen würde, nachdem er ihn nicht mehr beachtet hatte.
    »Was?«
    »Können die anderen zwei das auch?«
    »Der Braune ist nicht schlecht. Geht aber durch, wenn Sie ihn lassen.«
    »Darf ich’s einmal mit dem Pflock versuchen?«
    »Na schön«, sagte Verrall unliebenswürdig. »Aber
    zerschneiden Sie ihm nicht das Maul.«
    Ein Sepoy brachte das Pony, und Flory tat so, als untersuchte er den Zaum. In Wirklichkeit wollte er nur Zeit gewinnen, bis Elizabeth dreißig bis vierzig Meter weit weg war. Er beschloß, daß er den Pflock genau in dem Augenblick treffen würde, wenn sie vorüberkam (es ist ziemlich leicht auf den kleinen Burma-Ponys, vorausgesetzt, daß sie gestreckt galoppieren), dann mit dem Pflock auf seiner Lanzenspitze zu ihr zu reiten. Das war offensichtlich das richtige Vorgehen. Sie sollte nicht glauben, daß dieser rosenwangige Balg der einzige wäre, der reiten
    konnte. Er trug Shorts, die zum Reiten unbequem sind, aber er wußte, daß er wie fast jedermann auf dem Pferd am besten
    aussah.
    Elizabeth kam näher. Flory schwang sich in den Sattel, nahm die Lanze von dem Inder und schwenkte sie grüßend zu
    Elizabeth hinüber. Sie reagierte jedoch nicht. Wahrscheinlich war sie vor Verrall zu schüchtern. Sie blickte fort, zum Friedhof hin, und ihre Wangen waren gerötet.
    »Chalo«, sagte Flory zu dem Inder und drückte seine Knie in die Flanken des Pferdes.
    Im nächsten Augenblick, bevor das Pferd zwei Sprünge
    gemacht, flog Flory durch die Luft und schlug derart heftig auf
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    dem Boden auf, daß er sich fast die Schulter ausrenkte und immer weiter rollte. Zum Glück fiel ihm die Lanze aus der
    Hand. Erlag auf dem Rücken, über sich das verschwommene
    Bild von blauem Himmel und schwebenden Geiern. Dann fand
    sein Blick den khakifarbenen Pagri und das dunkle Gesicht eines bis an die Augen bärtigen Sikhs, der sich über ihn beugte.
    »Was ist passiert?« fragte er auf englisch und stützte sich unter Schmerzen auf den Ellbogen. Der Sikh brummte irgend
    etwas und deutete in die Ferne. Flory sah das kastanienbraune Pony, den Sattel unter dem Bauch hängend, über den Platz
    davonrasen. Der Sattelgurt war nicht festgezogen gewesen und herumgerutscht; daher Florys Sturz.
    Als sich Flory aufsetzte, spürte er größte Schmerzen. Sein Hemd war an der rechten Schulter aufgerissen und bereits
    blutdurchtränkt, und er fühlte, daß auch seine Wange blutete.
    Der harte Boden hatte sie aufgeschürft. Auch sein Helm war fort. Mit einem schrecklichen Stich fiel ihm Elizabeth ein, und er sah sie, kaum zehn Meter entfernt, auf sich zukommen und ihn starr ansehen, wie er da so schimpflich am Boden lag. Mein Gott, mein Gott! dachte er. O mein Gott, wie idiotisch muß ich aussehen! Der Gedanke daran vertrieb sogar den Schmerz. Er legte eine Hand über sein Muttermal, obwohl die andere Wange die verletzte war.
    »Elizabeth! Hallo, Elizabeth! Guten Morgen!«
    Er hatte so dringend, so flehend gerufen, wie man es tut, wenn man sich bewußt ist, daß man idiotisch aussieht. Sie antwortete nicht, und das Unglaubliche war, daß sie weiterging, ohne auch nur einen Augenblick stehenzubleiben, als hätte sie ihn weder gesehen noch gehört.
    »Elizabeth!«

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