Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Englisch, wie mein kennerischer Begleiter fand, sondern am besten in dem Sinn, daß sie stets etwas Lebendig-Wirkliches sagten. Das Unrecht, das ihren Rassen widerfährt, das im Widerspruch steht zum großen Gerede von Freiheit und Menschenrechten, dieses Unrecht zu bezeugen ist eine unantastbar-anständige Aufgabe; sie waren vielleicht die einzigen, die nichts anderes wollen, als sie sagen, Menschen, keine politischen Schachspieler. Bei ihnen hatte man auch das Empfinden, der Flug über den Ozean habe sich gelohnt; ihre Sätze hat man nicht schon tausendfach in den Zeitungen gelesen. Zugleich taten sie uns leid; der frenetische Beifall, den jeder von ihnen erntete, galt er wirklich den Unterdrückten? Minutenlang stand die ganze Zuhörerschaft, begeistert über dieses schwere Zeugnis gegen die Amerikaner, die Engländer, überhaupt die Herren der Welt. Der Beifall der stehenden Zuhörerschaft dauerte an, als der Neger sich bereits gesetzt hatte, unweit vor uns; lächelnd, erregt, einsam, indem er die knappe Kunde, die er über den Ozean gebracht, in seine Brusttasche steckt; er weigert sich mit einem verlegenenKopfschütteln, nochmals aufzustehen und sich für den Beifall zu bedanken. Ahnte er, daß es ihnen nicht um das gleiche geht? Ein Engländer gestattete sich, an die Unterjochten in anderen Kontinenten zu erinnern, an die Schändung der Menschenrechte, die in allen Lagern zu bekämpfen sei. Als ginge es um Menschenrechte! Man macht den Intellektuellen oft den Vorwurf, daß sie naiv sind; Gott sei Dank, mit den Naiven hat der Teufel es nicht am leichtesten. Um was aber geht es? Nicht in erster Linie um eine gesellschaftliche Umwälzung, sondern um eine Ablösung in der Weltherrschaft, um einen Aufstand der Völker, die durch die Geringschätzung, welche die herrschenden Völker ihnen gegenüber bewiesen haben, sich wie eine Familie empfinden. Auf gegen die Weißen! Die Weißen sind: die Angelsachsen, die Deutschen, die jene völkische Geringschätzung bis zur planmäßigen Ausrottung entwickelt haben, ferner die Franzosen, die man lange genug bewundert und als Weltmitte des Geistes beneidet hat, ferner die Skandinavier, soweit sie auf den Meeren eine wirtschaftliche Rolle spielen, weniger schon die Italiener. Aufstand der Völker; die revolutionäre Idee, die auf dem Banner steht, ist nicht die treibende Kraft, und auch unter einem anderen Banner würde die Bedrohung bestehen bleiben.
Die planmäßigen Ausrottungen, die schon in Polen, wo das Slawische sich am meisten mit dem Westen verschwistert hat, den Charakter einer regelrechten Industrie angenommen haben, um gegen Osten womöglich noch grausiger zu werden, erweisen sich nicht nur für Deutschland, sondern für Europa als eine katastrophale Hypothek.
Ferner der oft wiederkehrende Eindruck, daß die Völker, die den Blutverlust eines nächsten Krieges überleben, keinesfalls die Völker unseres europäischen Westens sind –
Schauspieler
Entscheidend scheint mir, daß der Schauspieler, im Gegensatz zu jedem anderen Künstler, kein andres Instrument hat als sich selbst, seine eigene leibliche Person … Ein Maler, ein Bildhauer, ein Schriftsteller, ein Musiker, ich möchte nicht behaupten, daß sie minder besessen sind von sich selbst. Eitel sind wir alle! Aber wenn sie in einer Gesellschaft sitzen, kommen sie nicht als Maler, Schriftsteller, Musiker, sondern als Leute; sie kommen ohne Pinsel, ohne Meißel, ohne Schreibmaschine, ohne Klavier. Sie kommen ohne ihr Instrument. Der Schauspieler, ob er will oder nicht, kann sein Instrument nicht zu Hause lassen. Ein Bildhauer erzählt, was er vom Fliegen hält oder von der Liebe; wir hören ihm zu. Wenn aber ein Schauspieler das nämliche erzählt, schauen wir. Und er ist sich bewußt, daß wir schauen. Wenn ein Schriftsteller dasitzt und sich als Stammler erweist, besagt das nichts über seine Schriftstellerei; einem Schauspieler dagegen, der sich nicht bewegen und die Anekdote, die er zum besten gibt, nicht darstellen könnte, wie sollen wir ihm den Darsteller glauben? So kommt der Schauspieler, wenn nicht gerade ein Haus einstürzt, nie ganz aus seiner Begabung heraus; das ist sein Fluch, sein Gehäuse, seine besondere Wirkung, die verblüfft und später langweilt, je mehr er nämlich, kraft seiner immer gegenwärtigen Mittel, die Gesellschaft dominiert. Auch der Musiker, wenn er sein Orchester mitbrächte, würde uns dominieren.
Schauspieler, sagt man, können nur vom Theater sprechen. Das ist
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