Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
regelmäßig, bevor Gott die vollkommene Vernichtung der ketzerischen Partei gelungen war. Es fehlte nicht am Wahnsinn, das zu wollen, nur an den technischen Mitteln. Nun sind diese Mittel aber da, die nichts mehr zu wünschen übriglassen. Das ist das Neue, das Entscheidende an unsrer Lage. Unser Zeitalter kann sich den Krieg nicht mehr leisten, ohne sich selber auszutilgen. Die Frage: ein Friede im wirklichen Sinn, also ein Friede mit dem Gegner, ist das überhaupt möglich? wird mehr und mehr zur Frage, ob das menschliche Leben schlechthin möglich ist.
3. 9. 1948
Die großzügige Einladung, ganz Polen zu bereisen, kann ich wegen beruflicher Verpflichtungen nicht annehmen; träume bereits von meinem Bauführer!
Wiederaufbau.
Entscheidend ist natürlich das Gesetz, das, erlassen unmittelbar nach Kriegsende, den ganzen Boden von Warschau als staatliches Eigentum erklärt. Was soll übrigens der einzelne Eigentümer mit seinem Schutthaufen, wenn die Gemeinde nicht eingreift und die Straße dazu baut, die Kanalisation, das Licht, das Wasser, die Verkehrsmittel? Tabula rasa, damit ist die erste Voraussetzung für wirklichen Städtebau erfüllt, Aufhebung des Grundeigentums, zum erstenmal hat der moderne Städtebau eine wirkliche Chance, nachdem er seit Jahrzehnten überall gelehrt wird. Entstanden angesichts der steinernen Verheerungen des neunzehnten Jahrhunderts, das das alte Gesicht so vieler Städte zerstört hat, ohne ihnen ein neues geben zu können, ist die Lehre vom modernen Städtebau wohl überall als Lehre anerkannt, aber ohnmächtig gegenüber dem Geld, ein Geduldspiel der Gefesselten, die auf Grund langer Forschung wissen, was man zur Genesung unsrer Städte machen müßte, aber ihre Wissenschaft bleibt ein akademischer Traum, ihr Machen ein ehrbar-geduldigesFlickwerk, ein verlorener Kampf gegen Parzellen. Warschau hat freie Hand. Nach der Planung, die heute in ihren Grundzügen bereits vorliegt, besteht alle Hoffnung, daß die außerordentliche Chance, eine Stadt unsres Jahrhunderts zu bauen, vollauf begriffen und genutzt wird. Die Gefahr jeder Planung, die Uniformierung, der Mangel an persönlichem Gesicht dürfte übrigens gering sein; jedes größere Vorhaben, insbesondere jedes staatliche, wird durch offene Wettbewerbe vergeben, so daß die Stadt nicht von einem staatlichen Atelier aus erbaut wird, sondern durchaus die Handschriften vieler Architekten bekommen kann. Dabei sind viele junge, viele, die während des Krieges im Ausland waren, in Frankreich, in England oder in der Schweiz. Ihre architektonische Haltung, der unseren keineswegs fremd, ist modern in dem Sinne, daß das Neuzeitliche einer Aufgabe und das Neuzeitliche eines Baustoffes nicht hinter entliehenen Formen versteckt wird, sondern seine eigene sucht, einen sauberen und attrappenlosen Ausdruck ihrer eignen Bedingtheiten. Dabei viel Phantasie, ein meistens humaner Maßstab, viel Sensibilität für kubischen Rhythmus. Hoffentlich wird es so, wie ihre Modelle es heute zeigen! Ein Kollege, der mir den Rohbau eines Ministeriums zeigt, findet es selber nicht hinreißend, daß man Ministerien baut, bevor man Krankenhäuser hat; leider eignet sich der Staat nicht nur den Boden an, sondern auch die Unarten seiner früheren Eigentümer. Aber die Planung, wie gesagt, ist begeisternd. Der Staat hat sie ermöglicht, aber noch nicht verwirklicht; er kann sie, wenn er eigensüchtig wird, jederzeit verhunzen. Begeisternd vor allem ist das Hochgefühl der Menschen, die da arbeiten, dieses Bewußtsein einer Generation: Wir bauen unsere Hauptstadt. Es lohnt sich, sein Äußerstes einzusetzen; es gibt wenig Fachleute, und die Arbeit ist riesenhaft, aber getragen von dem unausgesprochenen Gefühl, daß sie eingehen wird in die Geschichte; die Straßen, die sie entwerfen, bestimmen die Arbeit und das Leben von Geschlechtern. So hat jeder, persönlich uneitel, etwas vom gesunden Selbstbewußtsein der Gründerjahre –
Wiska verabschiedet sich, da sie wieder an ihre berufliche Arbeit gehen muß; sehr freundlich, obschon wir in ihren Augen zweifellos zu jenen gehören, die einzuladen sich nicht gelohnt hat.
Letzter Abend in irgendeiner Pinte. Die tanzenden Paare, fröhlich, zwischenhinein essen sie geräucherten Fisch, Brot mit Butter, dazu Gurken, getrunken wird Schnaps. Drei sehr verlotterte Männer spielen Klavier, Geige, Flöte. Unbeschreiblich schön, wenn sie Mazurka tanzen, ein einzelnes Paar, sie mit wehendem Haar, selig, Freude ohne
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