Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
richtig: vom Theater, nicht über Theater. Meistens reden sie von Personen, die sie lieben oder hassen, oder von Rollen, wie Frauen etwa von einem neuen Mantel sprechen. Im Grunde, und das ist wohl das Rasch-Verbindende und das Langsam-Abstoßende ihres Umgangs, sprechen sie stets von der eignen Person; das Theater ist ein immer neuer Mantel dieser Person.
Es ist kein Zufall, daß ich vom Schauspieler rede, nicht von der Schauspielerin – kein Zufall, daß die schauspielerische Eitelkeit auf die eigene leibliche Person besonders am männlichen Vertreterauffällt. Das Weib ist schauspielerisch von Natur. Kommt eine Begabung hinzu, die sogar einen Beruf daraus werden läßt, wird das Weib dadurch nicht fragwürdig, nur weiblicher. Oder anders gesagt: je weiblicher sie ist, um so voller glaube ich ihr die Schauspielerin. Das Theater, man weiß es, ist etwas durch und durch Erotisches, aber weiblich erotisch, und daß die Männer, die diesen Raum betreten, so häufig der geschlechtlichen Verkehrung verfallen sind oder ihr verfallen müssen, um ihn mit besondrer Leichtigkeit zu betreten, ist ebenfalls bekannt und nicht zufällig, sondern wesentlich. Woher kommt es, daß der Schauspieler, der männliche, wenn er nicht ein überragender ist und somit schon unverhältnismäßig, mit einem gewissen Alter immer peinlich wird? Ein Handwerker, ein alter, wird vielleicht langsam und unbeholfen, aber niemals peinlich. Der Schauspieler tut uns leid. Er merkt es übrigens selber, es drängt ihn, sich als Spielleiter zu versuchen, und er ist erleichtert, wenn es irgendwo Kinder gibt, Zeugen seiner Männlichkeit; hin und wieder, halb im Scherz, träumt er von einem bürgerlichen Beruf; er liebt es, nur im schwarzen Anzug auf die Bühne zu treten und Gedichte vorzulesen, eine Matinee über Goethe oder Büchner, und mehr und mehr zieht er es vor, auch im Rundfunk zu sprechen – wo er ebenfalls kein Kostüm tragen muß.
Das Widermännliche: das scheinbar Uneigene des Weibes, das sich formen läßt von jedem, der da kommt, das Widerstandlose, Uferlose, Weiche und Willige, das die Formen, die der Mann ihm gibt, im Grunde niemals ernst nimmt und immer fähig ist, sich anders formen zu lassen: das ist es, was der Mann als das Hurenhafte bezeichnet, ein Grundzug weiblichen Wesens, das Weiblich-Eigene, dem er niemals beikommt. Man könnte es auch das Schauspielerische nennen. Das Spiel der Verwandlung, das Spiel der Verkleidung. Der Mann, wenn er sich in Kostüme hüllt, hat er nicht immer einen Stich ins Verkehrte, ins Weibische, ins Widermännliche?
Ohne Eros keine Kunst. Erotisch im weiten Sinn ist der Drang, da zu sein, und der Drang, sein Dasein darzustellen. Das Schauspielerische und das Tänzerische, also die Darstellung durch die eigene leibliche Person, sind wohl das unmittelbarste Gestalten, am wenigsten übersetzt, am nächsten bei der naturhaften Erotik, die ebenfalls mit dem eignen Leib und mit der eignen Stimme spielt und wirkt. Andere Künstler, die dem nämlichen Drang gehorchen, Dasein darzustellen, tun es mittelbarer: sie tun es auf Papier oder Leinwand oder Stein; sie müssen es übersetzen in einem Grad, der die verfängliche Vermischung von künstlerischem und naturhaftem Drang zwar auch nicht verhindert, aber wesentlich erschwert; sie verlegen es außerhalb ihrer leiblichen Person; sie entrücken es – weil sie neben dem erotischen Drang, ihr Dasein darzustellen, noch ein andrer Drang gleichwertig beherrscht: der intellektuelle, der Drang, zu erkennen.
Ein Schauspieler kann vielleicht dumm und groß sein; ein Dichter, fürchte ich, kann beides nicht vereinen.
In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, daß der intellektuelle Drang unter den Schauspielern nicht nur eine geringe Rolle spielt, sondern geradezu verpönt ist. Das Schlimmste, was sie etwa von einem Spielleiter sagen können: daß er literarisch sei. Und das heißt: blutlos, unkünstlerisch. Und die Verachtung, die sie damit aussprechen, hat oft einen Geschmack von Haß und ist erbarmungslos, wie nur Gekränkte es sein können. Was ist geschehen? Oft hat ein Spielleiter nur den Fehler begangen, daß er sich nicht in sie verliebte; ein wirklicher Fehler. Was will man von einem Schauspieler, den man nicht durch persönliche Sympathie erreicht? Erörterungen sachlicher Art, mag sein, sie werden angehört, sogar verstanden; aber sie werden nie überzeugen. Schauspieler sind keine Schreiner. Was nichts gegen die Schreiner sagt!
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