Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Schauspieler lassen sich nur führen, wenn du in ihnen das Bedürfnis erwecken kannst, dir persönlich zu gefallen. Das erotische Bedürfnis. Das ist meistens die einzige Antenne, die sie haben, eine wunderbare, gewiß, eine lebendige und äußerstempfindsame, gewiß, aber immer mit einer Erdung im Privaten – weswegen auch die Luft, die sie bei der Arbeit umgibt, selten die kühle und sachliche Luft einer Werkstatt ist; es bleibt die Luft eines Boudoirs.
Man muß sich in sie verlieben!
Sonst sind sie nicht auszuhalten.
Ein Schauspieler, kaum hat er sich abgeschminkt, wartet er auf unser Lob – lobe ihn auf jeden Fall, spare deine Kritik auf übermorgen! Im Augenblick, wo einer von der Bühne kommt, ist sie nur grausam. Der Schauspieler, anders als andere Künstler, ist eins mit seinem Werk, und zwar auf eine leibliche Weise. Was ihm mißlingt, kann er nicht herausreißen, verknüllen und wegwerfen; es klebt an ihm, gelungen oder mißlungen. Nichts ist begreiflicher als seine Gier, sofort zu hören, wie er heute abend gewesen sei. Er kann sein Werk nicht selber sehen. Das ist etwas Ungeheuerliches. Angewiesen auf uns, die es gesehen haben, trifft ihn unser Schweigen wie eine Vernichtung. Der Schauspieler hat etwas von einem Maler, der blind wäre. Noch wenn es gelungen ist und wir sitzen nach einer Vorstellung zusammen, wirklich begeistert, spüre ich stets eine Melancholie; der Rausch verrauscht, und sein Werk ist nur in unser Gedächtnis geschrieben. Das ist ein weiches Wachs; er selber kann es schon in einem Monat wieder verwischen. Einiges bleibt haften über Jahre, über Jahrzehnte; aber wo? Er kann es nicht aus einer Mappe nehmen oder in einer Galerie wiederfinden. Seine Galerie sind die Leute; seine rührende Freude, alte Bekannte wiederzusehen, Kollegen oder Zuschauer, zu hören, wo die Sowieso ist und was der Dingsda macht, zu erzählen, wie es in dem Theater zuging, wo er zum erstenmal seinen Mortimer gespielt hat, zu vernehmen, daß eine frühere Partnerin sich zum fünftenmal verheiratet hat – all diese Gespräche, die wir als Klatsch empfinden, die auf die Dauer so langweilig sind – es ist alles so begreiflich, wenn man es so begreift: er sucht die Spuren seines Werkes, Leute, die es gesehen haben …
Warum gibt es so oft eine große Schauspielerin, so selten eine große Dichterin?… Der erotische Drang, Quelle jeder Künstlerschaft, hat eine weibliche und eine männliche Spielart. Weiblich ist der Drang, zu sein; männlich ist der Drang, zu tun. Die interpretierende Kunst ist immer näher beim Weiblichen.
Ein Schauspieler, der eines Tages nicht mehr auftritt, macht den Eindruck eines Gescheiterten – durchaus nicht die Frau, die eines Tages genug hat und sich ihren Kindern widmet. Für den Mann war es Beruf; sie spricht von ihren Rollen wie von Hochzeitsreisen …
Die gesellschaftliche Geringschätzung des Schauspielers sogar in Jahrhunderten größten Theaters: mindestens teilweise begründet in einem instinktiven Unbehagen gegenüber dem Widermännlichen jeder Schauspielerei, verschärft durch den Umstand, daß die Männer auch noch die weiblichen Rollen haben übernehmen müssen – zu untersuchen wäre, wieweit es der Schauspielerin zu verdanken ist, daß jener Bann zwar nicht verschwunden, aber sehr vermindert ist. Daß ein Unterschied empfunden wird zwischen Schauspieler und Schauspielerin, zeigt sich an jedem Briefträger, jeder Zimmervermieterin, jedem Gaseinzüger, der Schauspieler bleibt ihnen doch zweitrangig, bevor er sie durch längere Bekanntschaft vielleicht eines andern belehrt oder durch Ruhm, durch ein Bild in der Zeitung von vornherein bezwingt. Ein Schauspieler, aber ein feiner Kerl! Eine Schauspielerin, selbst wenn sie ein Luder sein sollte, ist ihnen selbstverständlicher.
Die Sorge, daß das Theater eingehe zugunsten des Films, kann ich aus manchen Gründen nicht teilen; einer davon ist das Wesen des Schauspielers, das Erotische daran, das im Film nie seine ganze Erfüllung findet; der erotische Drang, da zu sein und sich darzustellen, wird immer auch die leibliche Gegenwart der Zuschauer verlangen. Der Schauspieler, der gefilmt wird – und irgendwann einmal, wenn er vielleicht im Bett liegt, sehen wir seinBild – das kann seine Börse und seinen Ruhm vergrößern, aber den Augenblick nicht ersetzen, wo er auf der Bühne spielt und zugleich gesehen wird. Weder für ihn noch für uns. Wenn das Theater eingeht, ist auch der Eros
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