Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Hand wohl keinen Unterschied macht, wessen Haar sie verzaust, und daß alles,was du als euer Letzteigenes empfunden hast, auch ohne dich geht; genau so. Obschon du es aus Erfahrung weißt, wie auswechselbar der Liebespartner ist, bestürzt es dich. Nicht allein daß es nicht weitergeht, es bestürzt dich ein Verdacht, alles Gewesene betreffend, ein höhnisches Gefühl von Einsamkeit, so als wäre sie (du denkst sie auch schon ohne Namen) niemals bei dir gewesen, nur bei deinem Haar, bei deinem Geschlecht, das dich plötzlich ekelt, und als hätte sie dich, sooft sie deinen Namen nannte, jedesmal betrogen …
Anderseits weißt du genau:
Auch sie ist nicht die einzigmögliche Partnerin deiner Liebe. Wäre sie nicht gewesen, hättest du deine Liebe an einer anderen erfahren. Im übrigen kennst du, was niemanden angeht, nur dich: deine Träume, die das Auswechselbare bis zum völlig Gesichtlosen treiben, und wenn du nicht ganz verlogen bist, kannst du dir nicht verhehlen, daß alles, was man gemeinsam erlebt und als ein Letzt-Gemeinsames empfunden hat, auch ohne sie gegangen wäre; genau so. Nämlich so, wie es dir überhaupt möglich ist, und vielleicht, siehe da, ist es gar nicht jenes Auswechselbare, was im Augenblick, da ihre Hand in das andere Haar greift, einen so satanischen Stich gibt, im Gegenteil, es ist die Angst, daß es für ihre Hand vielleicht doch einen Unterschied macht. Keine Rede davon: Ihr seid nicht auswechselbar, du und er. Das Geschlecht, das allen gemeinsame, hat viele Provinzen, und du bist eine davon. Du kannst nicht über deine Grenzen hinaus, aber sie. Auch sie kann nicht über die ihren hinaus, gewiß, aber über deine; wie du über die ihren. Hast du nicht gewußt, daß wir alle begrenzt sind? Dieses Bewußtsein ist bitter schon im stillen, schon unter zwei Augen. Nun hast du das Gefühl wie jeder, dessen Grenzen überschritten werden und dadurch sozusagen gezeigt, das Gefühl, daß sie dich an den Pranger stellt. Daher bleibt es nicht bei der Trauer, hinzu kommt die Wut, die Wut der Scham, die den Eifersüchtigen oft gemein macht, rachsüchtig und dumm, die Angst, minderwertig zu sein. Plötzlich, in der Tat, kannst du es selber nicht mehr glauben, daß sie dich wirklich geliebt habe. Sie hat dich aber wirklich geliebt. Dich! – aber du,wie gesagt, bist nicht alles, was in der Liebe möglich ist …
Auch er nicht!
Auch sie nicht!
Niemand!
Daran müssen wir uns schon gewöhnen, denke ich, um nicht lächerlich zu werden, nicht verlogen zu werden, um nicht die Liebe schlechthin zu erwürgen –.
Arles, Oktober 1949
Avignon, Nîmes, Arles – man hält sich an Monumente, schön, aber einmal setzt man sich, bestellt einen Wein, schaut auf die Straßen hinaus: Städte als Gesicht unseres Menschseins. In fremden Städten, ohne den Schutz einer Gewöhnung, spürt man es krasser; vor allem, wenn es nicht die eigene Sprache ist, die ringsum gesprochen wird … Wozu das alles?… Ich stecke mir eine Zigarette an, es könnte auch eine ganz andere Stadt sein, man sitzt immer vor dem Rätsel eines Ameisenhaufens. Frage nicht wozu! Sie gehen halt hin und her, weil sie leben. Sie leben einfach. Schön. Das heißt, viele leben auch nicht schön, beispielsweise in Gassen, die ewiglich nach Ausguß stinken, aber das riechen sie nicht, Gewöhnung ist alles, jedenfalls leben sie, sie gehen oder sitzen, sie plaudern zusammen, und einer kommt gerade von der Jagd aus der Camargue, stellt die Flinte an die Mauer, bestellt einen Kaffee und erzählt von den Mücken, die ihn behindert haben. Möchte ich dieser Jäger sein? Oder sonst ein Bürger von Arles, beispielsweise der zweifellos sehr angesehene Herr zur Linken? Ich pfeife auf sein Ansehen, auf das Ansehen in Arles. Komisch. Wieso soll ein Ansehen anderswo tröstlicher sein, wesentlicher … Der Kellner bringt unseren Wein, Vin du pays – Culture, beginnend bei Agriculture, und dann, nach einigen Jahrtausenden voll Historie, eine Stadt wie diese oder andere, Autobusse, Läden voll bunter Flaschen, ein Anblick, der mich vor Verzückung jedesmal zum Verweilen zwingt, Weine, Liköre, Flaschen aller erdenklichen Arten, die beseligende Fülledes Unnötigen. Länder des Weines und der Muße, der Kultur, Muße und Wohlleben als unerläßliche Voraussetzung aller Kultur. Ein Laden voll Gemüse und Gefisch, ein Laden voll spielerischer Spirituosen, ein Laden voll Bücher, voilà, das ist unser Weg: vom Bedürfnis zum Spiel, vom Materiellen zum Spirituellen, vom
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