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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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eingehen wie die Dogge, weil sie es gehört haben und nicht sagen können, wie die Dogge, denkt er, während der Kommissar sich ebenfalls erhebt und trocken lächelt:
    »Bitte. Sie können gehen.«
    Den Paß hat er in die Schublade geworfen, die Schublade schließt er ab, den Schlüssel steckt er in die hintere Hosentasche, die Fülle seines Arsches zeigend – Schinz hat begriffen, nimmt seinen Mantel, geht hinaus, doch kommt er nicht weit, bis der junge Gendarm ihn einholt.
    »Sie sollen zurückkommen.«
    »Warum?«
    »Sie sollen zurückkommen.«
    Schinz geht zurück; der Kommissar steht, ein Pfeife anzündend, so daß er eine Weile nicht sprechen kann; dann sagt er:
    »Schließen Sie die Türe wie ein anständiger Mensch, Herr Doktor.«
    Schinz schluckt. Der Kommissar raucht, bereits anderweitig beschäftigt. Schinz schließt die Türe wie ein anständiger Mensch … Drei Uhr morgens, es regnet wieder in Strömen, geht er schwarz über die Grenze, Heinrich Gottlieb Schinz, Rechtsanwalt, ein Mann ohne Papiere.
    Bimba weint.
    Die Kinder schämen sich im Gymnasium.
    Einige Nächte sieht sich Schinz, wie er in Stadeln übernachtet,nie ganz schlafend, wachsam, solange er sich im Grenzgebiet befindet. So ungefähr, denkt er, ist Alexis über unsere Grenze gekommen, der Emigrant, der als Zeuge kein volles Gewicht hat; man ist sehr rasch ein Emigrant. Man ist ansässig, wie man ansässiger nicht sein kann, hat einen Stammbaum und ein Haus; plötzlich ist man ein Emigrant. Das ist schon öfter vorgekommen! Man sieht die Dinge etwas anders, als die andern sie lehren; man kann nichts dafür, daß die Zeitungen das Gegenteil schreiben … Eines Tages melden sie, daß Schinz geschnappt worden ist, nämlich auf der andern Seite. Er soll, wie der behördliche Ausdruck lautet, abgeschoben werden. Abgeschoben! Für die Familie ein nicht ausdenkbarer Schlag. Nur Bimba hält sich großartig; sie ist alt geworden, hat fast keinen Umgang. Nicht daß die Menschen sie meiden! So sind die Menschen ja auch wieder nicht; nur Bimba hält sie nicht aus, nicht einmal ihr Schweigen. Sie verteidigt nicht alles, was Schinz gesagt und getan hat; etwa sein lächerlicher Zank mit der Zeitung; aber der Fall mit dem Wagen, ja, das findet auch Bimba, daß der Mann, je öfter sie darüber nachdenkt, und zwar allein, nicht gestohlen hat. Komisch, wie anders man sieht, wenn einmal der gewohnte Umgang etwas nachläßt! Und wie er nachläßt, wenn man anders sieht; das ist dann nicht mehr komisch, Bimba ist sehr alt geworden. –
    Wieder sitzt da ein Kommissar:
    »Schinz, Heinrich Gottlieb –?«
    Schinz schweigt.
    »Doktor jur.«
    Schinz schweigt.
    »Rechtsanwalt!« sagt der Kommissar, der diesmal keinen Paß hält, sondern einen Steckbrief, und fährt fort: »Warum leben Sie unter einem falschen Namen?«
    Schinz schweigt.
    »Sie haben die Grenze schwarz überschritten. Ihr eigenes Land hat Ihnen die Papiere entzogen –«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Sie haben also die Grenze nicht überschritten?« sagt derKommissar nicht ohne Stolz auf die zwingende Führung des Verhörs: »Sie befinden sich also nicht in diesem Land?«
    »Man hat mir keine Papiere entzogen.«
    »Wieso haben Sie denn keine?«
    Schinz, sich fürs erste mit einem kurzen hämischen Lachen begnügend, nimmt ein Taschentuch heraus, ein sehr ungewaschenes, wie es bei einem Schinz höchstens noch in der Bubenzeit hat vorkommen können, grau und verwurstelt, feucht, widerlich; dann sagt er:
    »Das ist eine lange Geschichte –«
    Bald erinnert er sich selber nicht mehr!
    »Damit geben Sie also zu«, sagt der Kommissar: »daß Sie nicht Bernauer heißen, sondern Schinz – Heinrich Gottlieb, Rechtsanwalt?«
    »Ja.«
    Schinz schneuzt sich; es brauchte keine spiegelnde Fensterscheibe, damit er weiß, wie er aussieht! Kein Geld für frische Hemden, einige Nächte in den Wartesälen dritter Klasse, Verlust der Bügelfalten, einige Nächte im Freien, kein warmes Wasser. Seife von öffentlichen Aborten, ein Mantel, der sozusagen zu deiner Wohnung geworden ist, und das Kostüm eines Verdächtigen ist da. Verlasse dich nicht auf dein Gesicht, auf die Züge deines Gesichtes! Vergiß den Rosenkavalier, vergiß den Kunstverein, vergiß die Denkmalpflege; Kenntnisse dienen nur noch dazu, dich restlos verdächtig zu machen. Ein Mann wie du, der ein Haus hat und einen Wagen, warum hast du deine Stadt verlassen? Warum hast du es nötig, Bernauer zu heißen?… Das Protokoll, das erste von vielen kommenden,

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