Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
steht der gesamten arabischen Welt ein revolutionärer Tsunami bevor. Dabei war ich überzeugt, dass der Wandel Länder wie Libyen zuletzt erreichen würde. Gaddafis Reich war für mich das Bollwerk der unterdrückerischen Regime in der Region, eine Art arabisches Nordkorea. Auch dort würde die Geschichte nicht vorüberziehen, dachte ich mir. Aber die Revolution würde dort zuletzt ausbrechen.
Ich hatte mich wieder getäuscht. Es dauerte nicht lange, und ich packte in Kairo meine Koffer, um mich in die Hochburg der libyschen Rebellen, ins befreite Bengasi, aufzumachen.
***
Die Revolutionen begannen überall auf ähnliche Weise: Den Anfang machten meist Jugendliche, die zuvor mit der alten, stets stagnierenden Politik der arabischen Welt nichts am Hut hatten. Sie entwickelten neue Methoden, mit modernen Medientechnologien wie Blogs, Facebook und Twitter die Regime einfach zu überrumpeln. Sie taten es ohne jegliche charismatische Führung, als revolutionäres Kollektiv, dem kein Sicherheitsapparat beikommen kann.
Die Revolutionen hatten ein wichtiges gemeinsames Merkmal: Die Menschen hatten über Nacht ihre Angst verloren. So las ich auf Twitter folgenden Eintrag: „Als wir furchtlos auf die Polizeiketten zugestürmt sind und die Polizisten auch noch vor uns davonliefen, dachte ich das erste Mal: Das ist eine Revolution.“ Erst war es eine kleine Gruppe, die sich nicht mehr einschüchtern ließ. Dann eine große Masse, die die Sicherheitsapparate mit einer Mischung aus Polizei, Staatssicherheit und angeheuerten Schlägern nicht mehr kontrollieren konnten.
Aber es war mehr als das: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten hatten sich der Revolution angeschlossen – Studenten, Anwälte, Ärzte, Lehrer, Bauern, Beamte, Arbeitslose, und Beduinen, was sich in Kairo einmal in einer äußerst brenzligen Situation als sehr hilfreich erwies: Als Mubaraks Schläger auf Kamelen und Pferden den Tahrir-Platz attackierten, rutschte dort zunächst allen das Herz in die Hose. Doch auf dem Platz bei den Demonstranten waren auch ein paar Beduinenjungs, die wussten, wie man ein Pferd in den Schwitzkasten nimmt und mit einem gekonnten Seitenschwung zu Boden zwingt, und dieses Wissen gaben sie den anderen weiter. Da nützten den Reitern auch ihre Knüppel nichts mehr: Am Ende hatte Mubarak die ganze Gesellschaft mit ihrem geballten Wissen gegen sich. Dagegen konnte er nichts mehr ausrichten. Drei Jahrzehnte Willkür, Korruption und Misswirtschaft hatten einen Volksaufstand im wahren Sinne des Wortes provoziert.
Dieser zog sich durch alle Generationen. Eine Anwältin in Kairo erzählte mir die Geschichte ihrer 16-jährigen Tochter, die Tag und Nacht auf dem Tahrir-Platz war. Eines Morgens erhielt die Anwältin einen panischen Anruf einer Bekannten, die ihr erzählte, dass sie unter ihrem Fenster gerade Karawanen mit Pferden und Kamelen sehe, auf denen mit Knüppeln bewaffnete Reiter säßen, die auf dem Weg zum Tahrir-Platz seien und sicherlich nichts Gutes im Sinn hätten. Die Anwältin ließ in ihrer Kanzlei im Zentrum Kairos alles liegen und stehen und lief zum Tahrir-Platz, um ihr einziges Kind dort heil herauszuholen. Als sie ankam und ihre Tochter schließlich fand, während gleichzeitig die Schläger über den Platz herfielen, schrie sie sie an, was sie denn hier noch mache und warum sie sich nicht in Sicherheit gebracht habe. Die Tochter sah ihre Mutter nur entgeistert an und schrie zurück, was sie hier zu suchen habe, jetzt müsse sie nicht nur den Tahrir, sondern auch noch ihre Mama vor den Schlägern schützen. Am Ende hatten beide den Platz erfolgreich verteidigt.
***
Gerade einmal ein halbes Jahr vor der Revolution hatte ich als Journalist selbst begonnen, mit den neuen Medien zu experimentieren. Zunächst, indem ich meinen eigenen Blog mit dem Namen „Arabesken“ ( blogs.taz.de/arabesken ) begann und dort auch über die Willkür der arabischen Regime meine Einträge schrieb. Dann, indem ich meine eigene Facebookseite facebook.com/Karims.Arabesken und mein Twitter-Konto twitter.com/gawhary eröffnete. Das war zu einer Zeit, als uns die ersten Statistiken überraschten, die besagten, dass es in Ägypten bereits mehr Facebook-Nutzer als Tageszeitungs-Leser gäbe. Das war an sich schon bemerkenswert. Dass ausgerechnet Blogs, Facebook und Twitter die neuen Instrumente werden sollten, mit denen zum Aufstand mobilisiert wurde, das hatten sich selbst die Internet-Aktivisten in ihren kühnsten Träumen nicht
Weitere Kostenlose Bücher